Zwei entsandte Beschäftigte erstreiten ihren Lohn dank grenzüberschreitender Zusammenarbeit

Frankfurt a.M., Berlin und Sofia; 27. Januar 2020

Bericht des Berliner Beratungszentrums für Migration und Gute Arbeit BEMA[1] und der Beratungsstelle Faire Mobilität Hessen[2]

Ende September beklagten zwei Arbeitnehmer aus Bulgarien ausstehende Vergütung für den Zeitraum Juni bis August 2019 bei der Beratungsstelle Faire Mobilität Hessen. Beide haben für ein bulgarisches Unternehmen auf einer Baustelle in Südhessen gearbeitet. Sie waren so genannte entsandte Beschäftigte.

Die Beratungsstelle klärte die Kollegen auf und verhalf beiden ihre ausstehende Vergütung bei dem Arbeitgeber und bei dem Generalunternehmer geltend zu machen. Insgesamt belief sich die ausstehende Vergütung auf über ca. jeweils 5400 Euro netto. Für den kompletten Zeitraum war lediglich ein Vorschuss in Höhe von jeweils ca. 1300 Euro gezahlt worden und dies erst Mitte September. Die Arbeitnehmer gaben an, montags bis freitags jeweils neun Stunden und am Samstag jeweils 6,5 Stunden gearbeitet zu haben. Monatlich ergibt dies eine Größenordnung von 220 Arbeitsstunden.

Auf die Geltendmachungen der Kollegen hin bekamen diese Ende Oktober und Anfang November Zahlungen in Höhe von insgesamt jeweils ca. 3800 Euro für den besagten Zeitraum (Juni bis August 2019). Der Arbeitgeber hat die Kollegen allerdings nach der Lohngruppe 1 (Helfertätigkeiten) des Tarifvertrages Mindestlohn im Baugewerbe vergütet und weniger Stunden abgerechnet, als die Kollegen gearbeitet haben sollten.

Die beiden Bauarbeiter gaben an, als Maurer bzw. Schaler eingestellt gewesen zu sein. Auf dem Bauvorhaben sollten sie folgende Tätigkeiten ausgeübt haben: Schalung, Fenstermontage, Verputzung und andere. Sie sollten auch Maschinen wie Winkelschleifer, Bohrmaschine, Bohrhammer und andere bedient haben. Also alles mindestens angelernte Tätigkeiten, die nach der Lohngruppe 2 (ca. 20% höher als Lohngruppe 1) vergütet gehören.

Die beiden Kollegen haben darüber hinaus auf Anraten der Beratungsstelle Faire Mobilität Hessen den Sachverhalt auch bei der Arbeitsinspektion in Bulgarien angezeigt. Für die Überprüfung benötigte die Arbeitsinspektion Informationen zu den gesetzlichen und tarifvertraglichen Rahmenbedingungen im deutschen Baugewerbe und kontaktierte hierfür das BEMA. Der Kontakt zum BEMA war durch die gemeinsame Mitwirkung in dem europäischen Projekt Euro-Détachement entstanden.

Anhand der Informationen des BEMA und nach einigen Kontrollen bei dem Unternehmen verordnete die Arbeitsinspektion unter anderem die Zahlung eines Stundenlohnes nach Lohngruppe 2 ab Entsendebeginn (Januar 2019) sowie die Vergütung der Arbeitsstunden im Umfang der tariflich geregelten Arbeitszeit im Bundesrahmentarifvertrag des Baugewerbes. Das Unternehmen schaltete daraufhin einen Anwalt ein und über ihn erging eine Gegendarstellung. In dieser wird unter anderem bestritten, dass die höhere Lohngruppe für beide Kollegen anzuwenden wäre.

Anlässlich der Gegendarstellung des Anwalts richtete die Arbeitsinspektion erneut eine Anfrage an das BEMA. Das BEMA führte daraufhin umfangreiche Recherchen und koppelte die Ergebnisse mit unterschiedlichen Akteuren aus dem Fachgebiet, etwa der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie der Hauptabteilung Europa der Sozialkasse der Bauwirtschaft (SOKA-BAU), zurück. Danach erfolgte eine erneute Stellungnahme seitens von BEMA, die die bereits ergangenen Verfügungen der Arbeitsinspektion stützte und den Darstellungen des Anwalts des Unternehmens widersprach.

Nach Bestätigung der Verfügungen vom November durch die Arbeitsinspektion gab das bulgarische Unternehmen nach und leistete Mitte Dezember eine Nachzahlung für die Differenz zu Lohngruppe 2 ab Entsendebeginn (ab Januar 2019). Beide Kollegen bekamen insgesamt eine Nachzahlung von jeweils knapp über 2000 Euro netto. Somit haben beide Kollegen durch die Intervention der Beratungsstelle Faire Mobilität Hessen und dank der darauffolgenden Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsinspektion in Sofia und dem BEMA in der Sache jeweils ca. 5.800 Euro für sich erstritten. Das Geld haben beide Arbeitnehmer auch durch harte Arbeit verdient, indem sie über 50 Stunde in der Woche auf der Baustelle etwa Fenster montiert und Fassaden verputz haben.

Der Fall zeigt aber zwei Sachen. Zum einen wäre die Vergütung womöglich nicht gezahlt worden, wenn beide Beratungseinrichtungen die beiden Kollegen nicht unterstützt hätten. Dies zeigt die besondere Bedeutung von muttersprachlichen Beratungsangeboten für Wanderarbeitskräfte. Auf der anderen Seite hätte der Fall kein glückliches Ende gehabt, wenn das BEMA nicht die Arbeitsinspektion in Sofia mit Informationen unterstützt hätte. Dies hebt die Bedeutung grenzüberschreitender Zusammenarbeit hervor, gerade in Fällen von Entsendung, bei denen Vorschriften des Einsatz- und Herkunftslandes auf die Arbeitsverhältnisse Anwendung finden.

Den Bericht können Sie auch als PDF hier herunterladen.

Ansprechsperson für Rückfragen: Ivan Ivanov

 

[1] Das BEMA unterstützt eingewanderte Menschen und mobile Arbeitnehmer*innen dabei, ihre Arbeits- und Sozialrechte wahrzunehmen. Ziel ist die Gleichbehandlung aller Berliner*innen, unabhängig von der Herkunft und dem Aufenthaltsstatus, insbesondere bezüglich ihrer Rechte auf dem Arbeitsmarkt und im Bereich der sozialen Sicherung. Um strukturelle Defizite sichtbar zu machen und zu beheben, spiegelt das BEMA seine Praxiserfahrung in die Gewerkschaften, Wissenschaft, Behörden und Politik. Es wird von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales gefördert. Träger ist ARBEIT UND LEBEN – DGB/VHS Berlin-Brandenburg e.V. Mehr Infos unter https://www.bema.berlin/

[2] Die Beratungsstelle Faire Mobilität Hessen wurde am 1. September 2015 durch den Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen e.V. (EVW) eingerichtet. Die Beratungsstelle bietet muttersprachliche Erstinformation und -beratung für aus Bulgarien stammende Beschäftigte aus der Metropolregion Frankfurt und aus anderen Regionen Hessens zu arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Fragestellungen an. Sie ergänzt auch das bereits bestehende Beratungsangebot des DGB-Bundesprojekts „Faire Mobilität“ am Standort Frankfurt. Gefördert wird das Angebot aus Mitteln des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration. EVW ist eine 2004 von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) gegründete Organisation, die sich seitdem für die Belange von Wanderarbeitskräften einsetzt. Mehr Infos unter https://www.emwu.org