Polen und Deutschland: Partner oder Konkurrenten? – Cornelius Ochmann im Gespräch mit Bruno Altenschöpfer, Agnes Jarzyna, Reinhard Klein und Angelica Schwall-Düren

 

8.9.2006 – 9:58 Uhr

Cornelius Ochmann: Die letzten Ereignisse in der Politik, wie die Debatte über die Ostsee-Pipeline oder die Regierungswechsel in Deutschland und Polen werfen nicht selten die Frage nach der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Nachbarn. Wie richten sich die Regierungen in der Außenpolitik aus, welche politischen Gewichte werden berücksichtigt und was wird der Preis dafür sein? Wird das miteinander Kooperieren oder das miteinander Konkurrieren das heutige Zusammenleben dominieren? In unserer Diskussion wollen wir uns dem Thema der Konkurrenz und Kooperation in Europa widmen.

Frau Schwall-Düren, haben wir mit der Kooperation oder Konkurrenz in Europa der Fünfundzwanzig zu tun? Welche Folgen hat die Konkurrenz oder die Kooperation für das deutsch-polnische Verhältnis? Angelica Schwall-Düren: Die beiden Bereiche – Konkurrenz und Kooperation müssen wir uns in den einzelnen Sparten genauer anschauen, denn Konkurrenz ist nicht nur negativ: daraus kann nämlich auch Kooperation entstehen. Deswegen ist es wichtig, die einzelnen Felder, nämlich das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle näher zu prüfen. Beginnen wir mit der politischen Dimension, die oft beide Phänomene vereint. Das war zum Beispiel bei dem Beitritt Polens in die Europäische Union 2004 zu beobachten, als Deutschland seinen östlichen Nachbarn unterstützt hatte, gleichzeitig aber Polen durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum deutlichen Konkurrenten machte. Damit kommen wir auch zu der viel diskutierten Frage, welches Europa wir überhaupt wollen. Wollen wir ein Europa des starken politischen Willens mit sozialer Dimension oder ein liberales Europa mit einem starken Markt? Dazu gibt es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen. Ein Thema, bei dem die Konkurrenz und Kooperation in einem Wechselparadigma immer wieder auftauchen, sind die Beziehungen Deutschlands zu Russland. Es geht vor allem um die Gestaltung der Russland-Politik in den letzten Jahren. Viele Kritiker empfinden, dass die deutsche Russland-Politik ohne Berücksichtigung polnischer Interessen geschieht und ohne auf die Empfindlichkeiten und Emotionen Polens Rücksicht zu nehmen, die ja historisch begründet sind. Das muss unter verschiedenen Gesichtspunkten gesehen werden, besonders was die Frage der Energieversorgung betrifft. Deutschland, aus seiner Sicht privatwirtschaftlich organisiert, versucht eine Diversifizierung von Energieversorgungsstrengen zu erreichen, was aber nicht heißen sollte, Polen und die anderen östlichen Nachbarn völlig aus der Acht zu lassen. Ich gebe zu, in den letzten Monaten war tatsächlich in diesem Bereich wenig Sensibilität auf der deutschen Seite vorhanden; deswegen wünsche ich mir und fordere ein, dass in der Zukunft anders gegenüber Polen in der deutschen Russland-Politik umgegangen wird. Die eigentliche Energiefrage kann sich auch nicht auf Gas-Pipelines reduzieren, sondern hat Dimensionen, die bewirken, dass wir mit anderen Strategien von regenerativen Energien, Einspar- und Effizienzstrategien arbeiten müssen. Damit wäre auch wieder das Feld der Kooperation eröffnet. Ich komme zu einem anderen Punkt – der Konkurrenz und Kooperation in dem wirtschaftlichen Bereich. Es ist eine Tatsache, dass unsere beiden Gesellschaften von der Verflechtung profitieren. Es gibt aber in dem nachbarschaftlichen Verhältnis selbstverständlich einen Konkurrenz- und Rationalisierungsdruck. Die Kostenfrage in Bezug auf die steuerliche Belastung oder auf die Frage der Lohnkosten ist hier gegeben, und das kann nicht in einer eindimensionalen Dramatisierung von der deutschen Seite her gesehen werden. Der weitere Aspekt ist die Konkurrenz um die Arbeitsplätze durch Zuwanderung. Wir haben Übergangsregelungen, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Fall Polens zunächst einschränkt und erst im Laufe der Jahre endgültig abbaut. Wir haben dennoch Phänomene der Arbeitsplatzkonkurrenz durch die Dienstleistungsfreiheit, wie sie gesetzlich vorgegeben wird. Hier geschehen allerdings häufig Praktiken, die man durchaus als kriminell oder zumindest illegal bezeichnen muss. Durch die auf der deutschen Seite ungelösten Fragen der Mindestlöhne, des Entsendegesetzes oder anderer gesetzlichen Regelungen gibt es ebenso Probleme. Damit haben wir hier ein Thema auf dem Tisch, das die Vollendung der Dienstleistungsfreiheit durch eine europäische Dienstleistungsrichtlinie betrifft. Bei diesem Thema müssen wir mit aller Sorgfalt nach gemeinsamen Lösungen suchen. Es darf nicht passieren, dass wir zwar den Markt transparent machen, aber nur scheinbar, weil nicht alle Marktteilnehmer den Zugang zu diesem Markt bekommen würden. Gleichzeitig aber würde dadurch für eine starke soziale Verunsicherung gesorgt, die nicht nur zu menschlichen Problemen und zu Kosten für die jeweiligen Nationalstaaten, da die Sozialfragen immer noch national zu lösen sind, sondern letztendlich zu einer Entsolidarisierung zwischen den europäischen Mitgliedstaaten führen würde. Deswegen muss es darum gehen, gemeinsam eine Politik mit Augenmaß zu entwickeln. Cornelius Ochmann: Lech Kaczyński hat in einer Fernsehdiskussion Deutschland vorgeworfen, die deutsche Wirtschaft habe von der Osterweiterung bisher viel stärker profitiert als die polnische Wirtschaft. Herr Klein, wie sieht das von Ihrem Standpunkt aus? Reinhard Klein: Die Frage, wer von wem in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit profitiert, ist zu komplex, um eine Aufrechnung vorzunehmen. Eins ist aber sicher: wenn zwei kooperieren, dann machen sie das deshalb, weil sie glauben, dass beide gewinnen. Wenn der Eine der Meinung ist, er gewinnt nicht, dann kooperiert er auch nicht, unabhängig davon ob er ein deutsches oder polnisches Unternehmen ist. Aus meiner Sicht ist deswegen die Aussage von Lech Kaczyński eher unbegründet. Aber zu dem Thema Konkurrenz – Kooperation muss man hier etwas Grundsätzlicheres sagen: beides gibt es ja immer, sowohl die Konkurrenz als auch die Kooperation. Meistens ist das ganz selbstverständlich und geschieht lautlos. Manchmal aber auch ziemlich laut und stößt auf Empfindlichkeiten auf der anderen Seite, wie das vielleicht bei Lech Kaczyński der Fall war. Auf deutscher Seite werden Empfindlichkeiten getroffen, wenn in Deutschland kleine Handwerker keine Aufträge mehr haben und in Köln plötzlich hundert neue Fliesenlegerbetriebe entstehen, weil eben polnische Fliesenleger nach Köln kommen, Gewerbe anmelden und dort zu Preisen unterhalb der Marktpreise agieren. In so einer Situation meint der deutsche Handwerker, hier entstehe mit Sicherheit eine Konkurrenz. Und umgekehrt genau das gleiche Muster: wenn deutsche Banken nach Polen drängen und sich die deutsche Automobilindustrie oder die deutschen Medien dort niederlassen, dann empfinden das die Polen mit Gewissheit als Konkurrenz und haben damit zumindest partiell große Probleme. Konkurrenz bereitet also immer dem Einzelnen Probleme, aber das ist auch der Sinn der Marktwirtschaft. Es geht nämlich in der Marktwirtschaft darum, dass einer möglichst besser ist als der andere und der dritte wiederum, der Konsument, Vorteil davon hat. Inzwischen bin ich sogar der Meinung, dass wir aufpassen müssen, um nicht zu wenig Konkurrenz zu haben, denn die global player in der Welt teilen sich die Märkte schon zu sehr auf und der kleine und mittelständische Bereich hat Probleme, dabei mitzumachen. Wenn aber die Konkurrenz herrscht, dann ist es eigentlich unwichtig, ob ein Deutscher mit einem Deutschen oder ein Pole mit einem Polen oder der Pole mit dem Deutschen, mit dem Ägypter oder Chinesen konkurriert. Die nationalen Grenzen spielen dann keine Rolle, wogegen das Wettbewerb um so wichtiger wird: man muss versuchen, besser, schneller und innovativer zu sein. Natürlich ist mit der größer werdenden Europäischen Union und mit dem gemeinsamen Markt auch die Konkurrenz größer geworden. Es gibt mehr Anbieter auf dem Markt und dafür sind die Chancen für die Konsumenten größer geworden. Durch mehr Produzenten und durch mehr Konkurrenten wird – so ist die Hoffnung – billiger und besser produziert. Und das ist der Sinn des globalen Marktes. Ich möchte noch kurz das Thema der Kooperation behandeln. Die Kooperation ist genauso wichtig, wie die Konkurrenz, vor allem deshalb, weil sie die Basis für die Konkurrenz darstellt. Das Schema sieht folgendermaßen aus: der eine sucht sich den zweiten, mit dem er kooperieren will, damit er gegenüber dem dritten konkurrieren kann. Das ist auch allgemein der Sinn der Kooperation. Zu unserem nachbarschaftlichen Verhältnis: meines Erachtens wird zu wenig zwischen den deutschen und polnischen Unternehmen kooperiert. Es gibt natürlich eine ganze Reihe guter Beispiele, aber die Chancen der Nachbarschaft werden, auch auf wirtschaftlichem Gebiet, nicht genügend genutzt. Es gibt viel mehr Möglichkeiten miteinander zu arbeiten, um gemeinsam Wettbewerbsvorteile zu realisieren und gegenüber dritten effektiver zu sein, als den Alleinweg zu gehen. Das müssen wir uns alle vergegenwärtigen. Cornelius Ochmann: Agnes Jarzyna, wie sieht das Verhältnis Konkurrenzfähigkeit – Kooperationsfähigkeit von ihrem beruflichen Standpunkt aus? Agnes Jarzyna: Der europäische Verband der Wanderarbeiter ist eine Organisation, die europaweit die Arbeitnehmerrechte vertritt. In gewerkschaftlichen Kreisen gibt es bereits europäische Organisationen für die Rechte der Arbeitnehmer; leider sind sie aber bis heute lediglich mit Funktionären besetzt, so dass die Menschen aufgrund von Sprachbarierren, verschiedenen Rechtssystemen und Unkenntnissen tatsächlich einen Bedarf nach Unterstützung in ihrem Arbeitsalltag haben. Selbstverständlich werden wir jeden Tag mit den Themen der Konkurrenz und der Kooperation konfrontiert. Kooperation benötigen wir besonders stark, da unser Verband eine sehr junge Organisation ist – sie besteht seit Juli 2004. Wir haben uns als Ziel gesetzt, europaweit die Arbeitnehmerrechte zu koordinieren. Nach dem heutigen Stand gibt es in Europa genügend Expertenorganisationen, es fehlt nur eine Koordinierungsstelle. Arbeitnehmer, die ihr Leben lang auf der Suche nach Arbeit gezwungen sind, ständig in ein anderes Land zu ziehen, ihre Familie in ihrem Heimatland zu verlassen und die sozialen Kontakte zu vernachlässigen, haben oftmals nicht den Bedarf, sich einer nationalen Gewerkschaft anzuschließen, wenn sie in einem Land nur kurz verweilen. Von daher ist es wichtig, dass wir vor Ort auch Experten haben, die als Kooperationspartner fungieren. Heutzutage können wir auf starke Kooperationen zurückschauen, zum Beispiel mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihrer Vertretung in Warschau, oder mit KOWA – einer wissenschaftlichen Kooperationsstelle der Viadrina-Universtität in Frankfurt an der Oder, die Kooperationsstrukturen zwischen Wissenschaftlern und Studierenden sowie den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften in der Oderregion entwickelt. Darüber hinaus arbeiten wir mit nationalen Gewerkschaften, wie der IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt) zusammen. Von der deutschen Seite sind Gespräche insbesondere mit polnischen Gewerkschaften geführt worden. Zwar ist es bisher etwas schwierig, alle unter einem Dach zu bringen, aber wir sind immer noch stark daran interessiert. Konkurrenz ist das andere Thema, mit dem die Mitglieder unseres Verbandes tagtäglich zu tun haben. Hier möchte ich auf ein paar problematische Erscheinungen hinweisen. Oftmals wird in der Öffentlichkeit das Bild verbreitet, die Arbeitnehmer aus dem Ausland würden den Arbeitnehmern aus Deutschland die Arbeitsplätze wegnehmen. Außer Frage steht, dass jeder Arbeitnehmer seinen Lohn sichern will, so wie jeder Unternehmer seinen Gewinn. Mittlerweile gehört es aber fast zum Standard, dass die Betriebe ihr Ziel nur dann erreichen können, wenn sie illegale Praktiken anwenden: die richtige Lösung ist das sicherlich nicht! Unsere Verbandsmitglieder wollen als Integrationsstelle dafür sorgen, dass die Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden und auf der anderen Seite wirklich eine konkrete Anlaufstelle bekommen. Nun grenzen unsere rechtlichen Möglichkeiten oft nahezu ans Aussichtslose: wir haben in Deutschland nur in einigen wenigen Branchen Mindestlöhne, die wir anwenden können, um den Menschen auch wirklich zu helfen. Außerdem ist die Rechtslage, was zum Beispiel Lohnwucher, aber auch viele Beschäftigte aus den Ostblockstaaten, wie Polen, Rumänien oder Ungarn betrifft, sehr undurchschaubar. Man spricht vom Lohnwucher, wenn Arbeitsleistung und hierfür gezahltes Entgelt in einem auffallenden Missverhältnis stehen und die Vereinbarung beispielsweise unter Ausnutzung einer Zwangslage zustande gekommen ist. Die Zwangslage muss der Arbeitnehmer beweisen. Diesen Menschen können wir wirklich nur selten einen Weg aus ihrer Hilflosigkeit anbieten. Es ist sehr schwierig, gerichtlich irgendwelchen konkreten Lohnwuchern Tatbestände nachzuweisen. Als erwähnenswert finde ich noch das Problem der Scheinselbständigen. Als Scheinselbständige werden Erwerbstätige bezeichnet, die vertraglich als Selbständige behandelt werden, jedoch tatsächlich wie abhängig Beschäftigte arbeiten. Hier haben wir auch nachgeprüft und festgestellt, dass gerade die Handwerksmeister sich in der Vergangenheit für die Reform stark gemacht haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Scheinselbständigen oftmals die letzten in der Verteilungskette sind. Früher waren sie einfach Beschäftigte, gewerbliche Arbeitnehmer eines Baubetriebes, der sie dann mit ins Ausland genommen hat; jetzt hat ihm der Vorgesetzte das abenteuerliche Modell verklickert, wie toll es sei, selbst ein Chef zu sein. Nur auf gewisse Risiken hat der Vorgesetzte nicht hingewiesen – was geschieht, wenn ein Arbeitsunfall passiert oder wenn einem Dritten ein Schaden zufügt wird. Solche Fälle haben aber viel mit Konkurrenzdruck zu tun und tragen leider gar nicht zur Lösung der allgemeinen Probleme bei. Cornelius Ochmann: Solaris Deutschland wurde aus der ehemaligen Firma Neoplan Polska von Solange und Krzysztof Olszewski gegründet. Krzysztof Olszewski war bis 1999 Werkleiter der Neoplan in Berlin, gründete dann die Firma Neoplan Polska in der Nähe von Posen. Im Zuge des Aufkaufs von Neoplan Deutschland durch die EAM Maschinenbaufabrik in München, kaufte Herr Olszewski die Anteile und Beteiligungen der Neoplan auf und gründete die Firma SOLARIS. Herr Altenschöpfer, wie nimmt ihr deutsch-polnisches Unternehmen die Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wahr? Bruno Altenschöpfer: Solaris stellt Linienbusse für den westeuropäischen Markt und für bestimmte Teile im Rest der Welt her. Die ersten Fahrzeuge wurden in Polen verkauft, Solaris hat in Polen einen Marktanteil von 51 Prozent. Im Minibussektor bin ich zuständig für den Vertrieb westlich der Oder. Es ist uns gelungen in den letzen drei Jahren mit 950 Mitarbeitern, die wir heute beschäftigen, die Produktion jährlich zu verdoppeln, wir bauen in diesem Jahr erstmals über 800 Fahrzeuge für den Linienvertrieb in den Längen von 10 Metern bis 18 Metern. Unsere Autos laufen zur Zeit als Referenzadressen hier in Berlin, in München, Bremen, Düsseldorf und vielen anderen großen Städten. Dort stoßen wir natürlich auf eine große Konkurrenz zu namhaften Herstellern, wie Mercedes Benz. Im Hinblick auf die große Konkurrenz, haben sich aber die Marktanteile für die Firma Solaris unglaublich positiv entwickelt. Wir hatten Ende des letzen Jahres einen Marktanteil im Linienbusgeschäft von ungefähr drei Prozent. Dieses Jahr kommen wir auf fast 15 Prozent! Diese Zahlen würden wir natürlich ohne die zweite Seite der Medaille – der Kooperation – nicht erreichen können. Anders formuliert: wir sind in einem Wettbewerb, in dem wir so viel konkurrieren, auf Kooperation angewiesen. Denn die von uns vertriebenen Produkte müssen gepflegt und repariert werden. Und die Kooperationspartner sind sowohl die Werkstätten von Mercedes als auch eigene Vertragswerkstätten, die per Kooperationsvertrag mit der Firma Solaris unsere Fahrzeuge im Rahmen der Garantie oder der Wartung reparieren. Es darf nicht vergessen werden, wie viel positives Output durch unsere Tätigkeit entsteht: in den Kommunen werden die Arbeitsplätze gesichert, Kooperationsverträge mit den Kommunen geschlossen, so dass die Fahrzeuge, die sie bei uns erwerben – nach bestimmten Schulungen und Verkauf der Werkzeuge – vor Ort gewartet und gepflegt werden können. Und somit fallen zum Beispiel viele Transferzeiten weg, die sonst anfallen würden, um diese Produkte von A nach B zu schaffen, um sie reparieren zu können. Wir haben also sehr gute Erfahrungen auf dem deutschen Markt gemacht und wollen dieses Netz weiter ausbauen. Cornelius Ochmann: In unserer Debatte haben wir eine ziemlich breite Palette von Themen skizziert: von politischen Auswirkungen der Osterweiterung, über die Konkurrenzfähigkeit bis zu den konkreten wirtschaftlichen Beispielen. Ich möchte noch einen Punkt in die Debatte bringen. Vielleicht wird diese Problematik auf die leichte Schulter genommen, und man übersieht, dass in den einzelnen Ländern die Löhne und die Lohnnebenkosten sehr unterschiedlich sind. Nennen wir ein konkretes Beispiel. Es gibt Unternehmen, die Subunternehmen beschäftigen. Diese Subunternehmen sind zu einem Teil in Polen als selbständige Gesellschaften mit deutschem Teilhaber tätig. Sie können auf diese Weise mit den niedrigen Löhnen Ausschreibungen in Deutschland gewinnen. Und da zeigt sich, wie stark die Unterschiede durch eine Welle, wie die der Osterweiterung, in den einzelnen Ländern zum Vorschein kommen. Ein anderes Beispiel sind die Rentensysteme: wenn wir die Systeme in den einzelnen europäischen Ländern vergleichen, können wir feststellen, dass sie sehr unterschiedlich sind. Mich würde deswegen interessieren, welchen Einfluss auf die Konkurrenzverhältnisse diese Unterschiede haben? Angelica Schwall-Düren: In der Tat ist das ein Problem in der Europäischen Union, weil das Lebensstandard in den EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausfällt. Das bedeutet, dass man in einem Land mit geringeren Löhnen zurecht kommen muss als im anderen. Es gibt ungleiche Methoden der Finanzierung der Sozialsysteme, wobei solche Systeme überall existieren. Außerdem haben wir auf der europäischen Ebene eine große Verantwortung, wenn es um die so genannten vier Freiheiten geht. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, Kapital, Waren und Dienstleistungen frei zirkulieren können. In diesen Bereichen gibt es im Moment viele Möglichkeiten, das zu gestalten. Ich glaube nicht, dass allein die Tatsache, dass im Baubereich ein großes Unternehmen kleinere Subunternehmen beschäftigt, der Beweis dafür sein muss, dort werden illegale oder völlig unsoziale Praktiken durchgeführt. Im Baubereich haben wir in Deutschland einen legalen Schutz für Arbeitnehmer: das so genannte Entsendegesetz, das Mindestlöhne sichert, so dass ein polnisches Unternehmen, in dem Fall also ein in Deutschland arbeitendes Subunternehmen, seinen Beschäftigten den Mindestlohn zahlen müsste. In den allermeisten Bereichen jedoch existiert ein solcher gesetzlicher Schutz in der Tat nicht, obwohl wir ihn brauchen. Ich persönlich bin nicht von einer allgemeinen europäischen Dienstleistungsrichtlinie überzeugt, die auch im politischen Raum umstritten ist. Das europäische Parlament ist zu keiner vorläufigen Entscheidung gekommen, weil die Einführung des so genannten Herkunftslandprinzips nicht akzeptiert wurde. Das Prinzip besagt, dass jeder Dienstleister in jedem anderen europäischen Land mit den Rechtstatbeständen seines Herkunftslandes seine Dienstleistungen anbieten und durchführen könnte. Wir müssten uns zurecht darum sorgen, dass dann solche Erscheinungen, wie Lohndumping, Sozialdumping und zum Teil Qualitätsprobleme vorkommen. Dies aber sollte uns nicht dazu verleiten, Dienstleitungsfreiheit abzuschaffen. Es ist doch nachgewiesen, dass die Freiheiten zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Dynamik führen, von der wir alle profitieren. Wichtig ist aber, Wege zu finden, parallel zur Angleichung der Lebensverhältnisse Schutzfunktionen einführen können, die den Wettbewerb nicht einschränken, sondern verhindern, dass wir zu viele Menschen am Wegesrand zurücklassen. Denn diese Menschen können leicht ins soziale Abseits geraten, wo sie den eigenen Platz in der Gesellschaft nicht mehr finden. Cornelius Ochmann: Gibt es in der breiten Spanne der Kooperation und Konkurrenz, über die wir diskutieren, ein gemeinsames deutsch-polnisches Interesse? Kann die deutsche, kann die polnische Wirtschaft durch Investitionen die Konkurrenzfähigkeit auf den globalen Märkten erhöhen? Reinhard Klein: Von Hause aus bin ich ein Optimist. Das übertrage ich auch gern auf die Wirtschaft – da gibt es positive Tendenzen! Ich nenne ein paar Beispiele und bleibe bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn wir mal Schwerpunkte in Polen betrachten, wie Posen mit Volkswagen Deutschland und der Arbeitslosenquote zwischen 5,6 und 6,7 Prozent, wenn wir nach Gleiwitz gehen und uns das Opel-Werk ansehen – das sind doch alles Mosaiksteine in der Kooperation. Das möchte ich als Kooperation bezeichnen. Ich komme gleich auf die Konkurrenz zu sprechen. Die in der Diskussion gestellte Frage – Kooperation oder/und Konkurrenz? – darf nicht heißen, Konkurrenz oder Kooperation, sondern Kooperation und Konkurrenz. Ich kann mir eine Wirtschaft ohne Konkurrenz nicht vorstellen. An der Stelle möchte ich noch zwei, meiner Meinung nach, sehr wichtige Begriffe nennen, die heute in der Debatte noch nicht gefallen sind. Das ist zum einen Qualität und zum anderen Produktivität. In vielen Wirtschaftszweigen gibt es schon intensive Kooperationen mit den neuen EU-Ländern und diesen Weg müssen wir immer wieder vor Augen haben, weil diese Länder in den letzten fünfzehn Jahren qualitativ eine solche Steigerung erlebt haben, dass die Qualitätsprobleme eigentlich kein Thema mehr sein sollten. Das stimmt mich positiv auch für die Zukunft. Denn die Kooperation und Konkurrenz gehen immer gemeinsam. Und das bedeutet nur positive Entwicklungen für unsere beiden Länder – Polen und Deutschland. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Situation in Polen wegen der niedrigen Kosten auch in den nächsten Jahren ändern muss und sie wird sich auch ändern. Und ich hoffe, dass solche Prozesse allmählich stattfinden und nicht überstürzt verlaufen. Es ist wahr, dass es unter den Unternehmern schwarze Schafe gibt: keine Frage. Und unter diesen Umständen muss man den Finger in die Wunde legen um so etwas öffentlich zu machen. Aber generell ist die faire Kooperation und Konkurrenz in der Wirtschaft ein enorm wichtiges Element, um auch für die Zukunft Produkte mit Qualität und mit entsprechender Kostenstruktur entwickeln zu können. Das vorliegende Gespräch fand im Rahmen der Jahrestagung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband am 8. Oktober 2005 in Bad-Zinnowitz auf Usedom statt. Bearbeitung des Gesprächs: Joanna Majkowska Bruno Altenschöpfer, SOLARIS Deutschland GmbH; Agnes Jarzyna, Europäischer Verband der Wanderarbeiter mit Sitz in Frankfurt am Main; Dr. Reinhard Klein, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG in Gorzów Wlkp., stellv. Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband; Dr. Angelica Schwall-Düren, Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband; Cornelius Ochmann, Osteuropaexperte der Bertelsmann Stiftung.

– 9:58 Uhr

Cornelius Ochmann: Die letzten Ereignisse in der Politik, wie die Debatte über die Ostsee-Pipeline oder die Regierungswechsel in Deutschland und Polen werfen nicht selten die Frage nach der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Nachbarn. Wie richten sich die Regierungen in der Außenpolitik aus, welche politischen Gewichte werden berücksichtigt und was wird der Preis dafür sein? Wird das miteinander Kooperieren oder das miteinander Konkurrieren das heutige Zusammenleben dominieren? In unserer Diskussion wollen wir uns dem Thema der Konkurrenz und Kooperation in Europa widmen.


Frau Schwall-Düren, haben wir mit der Kooperation oder Konkurrenz in Europa der Fünfundzwanzig zu tun? Welche Folgen hat die Konkurrenz oder die Kooperation für das deutsch-polnische Verhältnis? Angelica Schwall-Düren: Die beiden Bereiche – Konkurrenz und Kooperation müssen wir uns in den einzelnen Sparten genauer anschauen, denn Konkurrenz ist nicht nur negativ: daraus kann nämlich auch Kooperation entstehen. Deswegen ist es wichtig, die einzelnen Felder, nämlich das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle näher zu prüfen. Beginnen wir mit der politischen Dimension, die oft beide Phänomene vereint. Das war zum Beispiel bei dem Beitritt Polens in die Europäische Union 2004 zu beobachten, als Deutschland seinen östlichen Nachbarn unterstützt hatte, gleichzeitig aber Polen durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum deutlichen Konkurrenten machte. Damit kommen wir auch zu der viel diskutierten Frage, welches Europa wir überhaupt wollen. Wollen wir ein Europa des starken politischen Willens mit sozialer Dimension oder ein liberales Europa mit einem starken Markt? Dazu gibt es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen. Ein Thema, bei dem die Konkurrenz und Kooperation in einem Wechselparadigma immer wieder auftauchen, sind die Beziehungen Deutschlands zu Russland. Es geht vor allem um die Gestaltung der Russland-Politik in den letzten Jahren. Viele Kritiker empfinden, dass die deutsche Russland-Politik ohne Berücksichtigung polnischer Interessen geschieht und ohne auf die Empfindlichkeiten und Emotionen Polens Rücksicht zu nehmen, die ja historisch begründet sind. Das muss unter verschiedenen Gesichtspunkten gesehen werden, besonders was die Frage der Energieversorgung betrifft. Deutschland, aus seiner Sicht privatwirtschaftlich organisiert, versucht eine Diversifizierung von Energieversorgungsstrengen zu erreichen, was aber nicht heißen sollte, Polen und die anderen östlichen Nachbarn völlig aus der Acht zu lassen. Ich gebe zu, in den letzten Monaten war tatsächlich in diesem Bereich wenig Sensibilität auf der deutschen Seite vorhanden; deswegen wünsche ich mir und fordere ein, dass in der Zukunft anders gegenüber Polen in der deutschen Russland-Politik umgegangen wird. Die eigentliche Energiefrage kann sich auch nicht auf Gas-Pipelines reduzieren, sondern hat Dimensionen, die bewirken, dass wir mit anderen Strategien von regenerativen Energien, Einspar- und Effizienzstrategien arbeiten müssen. Damit wäre auch wieder das Feld der Kooperation eröffnet. Ich komme zu einem anderen Punkt – der Konkurrenz und Kooperation in dem wirtschaftlichen Bereich. Es ist eine Tatsache, dass unsere beiden Gesellschaften von der Verflechtung profitieren. Es gibt aber in dem nachbarschaftlichen Verhältnis selbstverständlich einen Konkurrenz- und Rationalisierungsdruck. Die Kostenfrage in Bezug auf die steuerliche Belastung oder auf die Frage der Lohnkosten ist hier gegeben, und das kann nicht in einer eindimensionalen Dramatisierung von der deutschen Seite her gesehen werden. Der weitere Aspekt ist die Konkurrenz um die Arbeitsplätze durch Zuwanderung. Wir haben Übergangsregelungen, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Fall Polens zunächst einschränkt und erst im Laufe der Jahre endgültig abbaut. Wir haben dennoch Phänomene der Arbeitsplatzkonkurrenz durch die Dienstleistungsfreiheit, wie sie gesetzlich vorgegeben wird. Hier geschehen allerdings häufig Praktiken, die man durchaus als kriminell oder zumindest illegal bezeichnen muss. Durch die auf der deutschen Seite ungelösten Fragen der Mindestlöhne, des Entsendegesetzes oder anderer gesetzlichen Regelungen gibt es ebenso Probleme. Damit haben wir hier ein Thema auf dem Tisch, das die Vollendung der Dienstleistungsfreiheit durch eine europäische Dienstleistungsrichtlinie betrifft. Bei diesem Thema müssen wir mit aller Sorgfalt nach gemeinsamen Lösungen suchen. Es darf nicht passieren, dass wir zwar den Markt transparent machen, aber nur scheinbar, weil nicht alle Marktteilnehmer den Zugang zu diesem Markt bekommen würden. Gleichzeitig aber würde dadurch für eine starke soziale Verunsicherung gesorgt, die nicht nur zu menschlichen Problemen und zu Kosten für die jeweiligen Nationalstaaten, da die Sozialfragen immer noch national zu lösen sind, sondern letztendlich zu einer Entsolidarisierung zwischen den europäischen Mitgliedstaaten führen würde. Deswegen muss es darum gehen, gemeinsam eine Politik mit Augenmaß zu entwickeln. Cornelius Ochmann: Lech Kaczyński hat in einer Fernsehdiskussion Deutschland vorgeworfen, die deutsche Wirtschaft habe von der Osterweiterung bisher viel stärker profitiert als die polnische Wirtschaft. Herr Klein, wie sieht das von Ihrem Standpunkt aus? Reinhard Klein: Die Frage, wer von wem in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit profitiert, ist zu komplex, um eine Aufrechnung vorzunehmen. Eins ist aber sicher: wenn zwei kooperieren, dann machen sie das deshalb, weil sie glauben, dass beide gewinnen. Wenn der Eine der Meinung ist, er gewinnt nicht, dann kooperiert er auch nicht, unabhängig davon ob er ein deutsches oder polnisches Unternehmen ist. Aus meiner Sicht ist deswegen die Aussage von Lech Kaczyński eher unbegründet. Aber zu dem Thema Konkurrenz – Kooperation muss man hier etwas Grundsätzlicheres sagen: beides gibt es ja immer, sowohl die Konkurrenz als auch die Kooperation. Meistens ist das ganz selbstverständlich und geschieht lautlos. Manchmal aber auch ziemlich laut und stößt auf Empfindlichkeiten auf der anderen Seite, wie das vielleicht bei Lech Kaczyński der Fall war. Auf deutscher Seite werden Empfindlichkeiten getroffen, wenn in Deutschland kleine Handwerker keine Aufträge mehr haben und in Köln plötzlich hundert neue Fliesenlegerbetriebe entstehen, weil eben polnische Fliesenleger nach Köln kommen, Gewerbe anmelden und dort zu Preisen unterhalb der Marktpreise agieren. In so einer Situation meint der deutsche Handwerker, hier entstehe mit Sicherheit eine Konkurrenz. Und umgekehrt genau das gleiche Muster: wenn deutsche Banken nach Polen drängen und sich die deutsche Automobilindustrie oder die deutschen Medien dort niederlassen, dann empfinden das die Polen mit Gewissheit als Konkurrenz und haben damit zumindest partiell große Probleme. Konkurrenz bereitet also immer dem Einzelnen Probleme, aber das ist auch der Sinn der Marktwirtschaft. Es geht nämlich in der Marktwirtschaft darum, dass einer möglichst besser ist als der andere und der dritte wiederum, der Konsument, Vorteil davon hat. Inzwischen bin ich sogar der Meinung, dass wir aufpassen müssen, um nicht zu wenig Konkurrenz zu haben, denn die global player in der Welt teilen sich die Märkte schon zu sehr auf und der kleine und mittelständische Bereich hat Probleme, dabei mitzumachen. Wenn aber die Konkurrenz herrscht, dann ist es eigentlich unwichtig, ob ein Deutscher mit einem Deutschen oder ein Pole mit einem Polen oder der Pole mit dem Deutschen, mit dem Ägypter oder Chinesen konkurriert. Die nationalen Grenzen spielen dann keine Rolle, wogegen das Wettbewerb um so wichtiger wird: man muss versuchen, besser, schneller und innovativer zu sein. Natürlich ist mit der größer werdenden Europäischen Union und mit dem gemeinsamen Markt auch die Konkurrenz größer geworden. Es gibt mehr Anbieter auf dem Markt und dafür sind die Chancen für die Konsumenten größer geworden. Durch mehr Produzenten und durch mehr Konkurrenten wird – so ist die Hoffnung – billiger und besser produziert. Und das ist der Sinn des globalen Marktes. Ich möchte noch kurz das Thema der Kooperation behandeln. Die Kooperation ist genauso wichtig, wie die Konkurrenz, vor allem deshalb, weil sie die Basis für die Konkurrenz darstellt. Das Schema sieht folgendermaßen aus: der eine sucht sich den zweiten, mit dem er kooperieren will, damit er gegenüber dem dritten konkurrieren kann. Das ist auch allgemein der Sinn der Kooperation. Zu unserem nachbarschaftlichen Verhältnis: meines Erachtens wird zu wenig zwischen den deutschen und polnischen Unternehmen kooperiert. Es gibt natürlich eine ganze Reihe guter Beispiele, aber die Chancen der Nachbarschaft werden, auch auf wirtschaftlichem Gebiet, nicht genügend genutzt. Es gibt viel mehr Möglichkeiten miteinander zu arbeiten, um gemeinsam Wettbewerbsvorteile zu realisieren und gegenüber dritten effektiver zu sein, als den Alleinweg zu gehen. Das müssen wir uns alle vergegenwärtigen. Cornelius Ochmann: Agnes Jarzyna, wie sieht das Verhältnis Konkurrenzfähigkeit – Kooperationsfähigkeit von ihrem beruflichen Standpunkt aus? Agnes Jarzyna: Der europäische Verband der Wanderarbeiter ist eine Organisation, die europaweit die Arbeitnehmerrechte vertritt. In gewerkschaftlichen Kreisen gibt es bereits europäische Organisationen für die Rechte der Arbeitnehmer; leider sind sie aber bis heute lediglich mit Funktionären besetzt, so dass die Menschen aufgrund von Sprachbarierren, verschiedenen Rechtssystemen und Unkenntnissen tatsächlich einen Bedarf nach Unterstützung in ihrem Arbeitsalltag haben. Selbstverständlich werden wir jeden Tag mit den Themen der Konkurrenz und der Kooperation konfrontiert. Kooperation benötigen wir besonders stark, da unser Verband eine sehr junge Organisation ist – sie besteht seit Juli 2004. Wir haben uns als Ziel gesetzt, europaweit die Arbeitnehmerrechte zu koordinieren. Nach dem heutigen Stand gibt es in Europa genügend Expertenorganisationen, es fehlt nur eine Koordinierungsstelle. Arbeitnehmer, die ihr Leben lang auf der Suche nach Arbeit gezwungen sind, ständig in ein anderes Land zu ziehen, ihre Familie in ihrem Heimatland zu verlassen und die sozialen Kontakte zu vernachlässigen, haben oftmals nicht den Bedarf, sich einer nationalen Gewerkschaft anzuschließen, wenn sie in einem Land nur kurz verweilen. Von daher ist es wichtig, dass wir vor Ort auch Experten haben, die als Kooperationspartner fungieren. Heutzutage können wir auf starke Kooperationen zurückschauen, zum Beispiel mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihrer Vertretung in Warschau, oder mit KOWA – einer wissenschaftlichen Kooperationsstelle der Viadrina-Universtität in Frankfurt an der Oder, die Kooperationsstrukturen zwischen Wissenschaftlern und Studierenden sowie den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften in der Oderregion entwickelt. Darüber hinaus arbeiten wir mit nationalen Gewerkschaften, wie der IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt) zusammen. Von der deutschen Seite sind Gespräche insbesondere mit polnischen Gewerkschaften geführt worden. Zwar ist es bisher etwas schwierig, alle unter einem Dach zu bringen, aber wir sind immer noch stark daran interessiert. Konkurrenz ist das andere Thema, mit dem die Mitglieder unseres Verbandes tagtäglich zu tun haben. Hier möchte ich auf ein paar problematische Erscheinungen hinweisen. Oftmals wird in der Öffentlichkeit das Bild verbreitet, die Arbeitnehmer aus dem Ausland würden den Arbeitnehmern aus Deutschland die Arbeitsplätze wegnehmen. Außer Frage steht, dass jeder Arbeitnehmer seinen Lohn sichern will, so wie jeder Unternehmer seinen Gewinn. Mittlerweile gehört es aber fast zum Standard, dass die Betriebe ihr Ziel nur dann erreichen können, wenn sie illegale Praktiken anwenden: die richtige Lösung ist das sicherlich nicht! Unsere Verbandsmitglieder wollen als Integrationsstelle dafür sorgen, dass die Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden und auf der anderen Seite wirklich eine konkrete Anlaufstelle bekommen. Nun grenzen unsere rechtlichen Möglichkeiten oft nahezu ans Aussichtslose: wir haben in Deutschland nur in einigen wenigen Branchen Mindestlöhne, die wir anwenden können, um den Menschen auch wirklich zu helfen. Außerdem ist die Rechtslage, was zum Beispiel Lohnwucher, aber auch viele Beschäftigte aus den Ostblockstaaten, wie Polen, Rumänien oder Ungarn betrifft, sehr undurchschaubar. Man spricht vom Lohnwucher, wenn Arbeitsleistung und hierfür gezahltes Entgelt in einem auffallenden Missverhältnis stehen und die Vereinbarung beispielsweise unter Ausnutzung einer Zwangslage zustande gekommen ist. Die Zwangslage muss der Arbeitnehmer beweisen. Diesen Menschen können wir wirklich nur selten einen Weg aus ihrer Hilflosigkeit anbieten. Es ist sehr schwierig, gerichtlich irgendwelchen konkreten Lohnwuchern Tatbestände nachzuweisen. Als erwähnenswert finde ich noch das Problem der Scheinselbständigen. Als Scheinselbständige werden Erwerbstätige bezeichnet, die vertraglich als Selbständige behandelt werden, jedoch tatsächlich wie abhängig Beschäftigte arbeiten. Hier haben wir auch nachgeprüft und festgestellt, dass gerade die Handwerksmeister sich in der Vergangenheit für die Reform stark gemacht haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Scheinselbständigen oftmals die letzten in der Verteilungskette sind. Früher waren sie einfach Beschäftigte, gewerbliche Arbeitnehmer eines Baubetriebes, der sie dann mit ins Ausland genommen hat; jetzt hat ihm der Vorgesetzte das abenteuerliche Modell verklickert, wie toll es sei, selbst ein Chef zu sein. Nur auf gewisse Risiken hat der Vorgesetzte nicht hingewiesen – was geschieht, wenn ein Arbeitsunfall passiert oder wenn einem Dritten ein Schaden zufügt wird. Solche Fälle haben aber viel mit Konkurrenzdruck zu tun und tragen leider gar nicht zur Lösung der allgemeinen Probleme bei. Cornelius Ochmann: Solaris Deutschland wurde aus der ehemaligen Firma Neoplan Polska von Solange und Krzysztof Olszewski gegründet. Krzysztof Olszewski war bis 1999 Werkleiter der Neoplan in Berlin, gründete dann die Firma Neoplan Polska in der Nähe von Posen. Im Zuge des Aufkaufs von Neoplan Deutschland durch die EAM Maschinenbaufabrik in München, kaufte Herr Olszewski die Anteile und Beteiligungen der Neoplan auf und gründete die Firma SOLARIS. Herr Altenschöpfer, wie nimmt ihr deutsch-polnisches Unternehmen die Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wahr? Bruno Altenschöpfer: Solaris stellt Linienbusse für den westeuropäischen Markt und für bestimmte Teile im Rest der Welt her. Die ersten Fahrzeuge wurden in Polen verkauft, Solaris hat in Polen einen Marktanteil von 51 Prozent. Im Minibussektor bin ich zuständig für den Vertrieb westlich der Oder. Es ist uns gelungen in den letzen drei Jahren mit 950 Mitarbeitern, die wir heute beschäftigen, die Produktion jährlich zu verdoppeln, wir bauen in diesem Jahr erstmals über 800 Fahrzeuge für den Linienvertrieb in den Längen von 10 Metern bis 18 Metern. Unsere Autos laufen zur Zeit als Referenzadressen hier in Berlin, in München, Bremen, Düsseldorf und vielen anderen großen Städten. Dort stoßen wir natürlich auf eine große Konkurrenz zu namhaften Herstellern, wie Mercedes Benz. Im Hinblick auf die große Konkurrenz, haben sich aber die Marktanteile für die Firma Solaris unglaublich positiv entwickelt. Wir hatten Ende des letzen Jahres einen Marktanteil im Linienbusgeschäft von ungefähr drei Prozent. Dieses Jahr kommen wir auf fast 15 Prozent! Diese Zahlen würden wir natürlich ohne die zweite Seite der Medaille – der Kooperation – nicht erreichen können. Anders formuliert: wir sind in einem Wettbewerb, in dem wir so viel konkurrieren, auf Kooperation angewiesen. Denn die von uns vertriebenen Produkte müssen gepflegt und repariert werden. Und die Kooperationspartner sind sowohl die Werkstätten von Mercedes als auch eigene Vertragswerkstätten, die per Kooperationsvertrag mit der Firma Solaris unsere Fahrzeuge im Rahmen der Garantie oder der Wartung reparieren. Es darf nicht vergessen werden, wie viel positives Output durch unsere Tätigkeit entsteht: in den Kommunen werden die Arbeitsplätze gesichert, Kooperationsverträge mit den Kommunen geschlossen, so dass die Fahrzeuge, die sie bei uns erwerben – nach bestimmten Schulungen und Verkauf der Werkzeuge – vor Ort gewartet und gepflegt werden können. Und somit fallen zum Beispiel viele Transferzeiten weg, die sonst anfallen würden, um diese Produkte von A nach B zu schaffen, um sie reparieren zu können. Wir haben also sehr gute Erfahrungen auf dem deutschen Markt gemacht und wollen dieses Netz weiter ausbauen. Cornelius Ochmann: In unserer Debatte haben wir eine ziemlich breite Palette von Themen skizziert: von politischen Auswirkungen der Osterweiterung, über die Konkurrenzfähigkeit bis zu den konkreten wirtschaftlichen Beispielen. Ich möchte noch einen Punkt in die Debatte bringen. Vielleicht wird diese Problematik auf die leichte Schulter genommen, und man übersieht, dass in den einzelnen Ländern die Löhne und die Lohnnebenkosten sehr unterschiedlich sind. Nennen wir ein konkretes Beispiel. Es gibt Unternehmen, die Subunternehmen beschäftigen. Diese Subunternehmen sind zu einem Teil in Polen als selbständige Gesellschaften mit deutschem Teilhaber tätig. Sie können auf diese Weise mit den niedrigen Löhnen Ausschreibungen in Deutschland gewinnen. Und da zeigt sich, wie stark die Unterschiede durch eine Welle, wie die der Osterweiterung, in den einzelnen Ländern zum Vorschein kommen. Ein anderes Beispiel sind die Rentensysteme: wenn wir die Systeme in den einzelnen europäischen Ländern vergleichen, können wir feststellen, dass sie sehr unterschiedlich sind. Mich würde deswegen interessieren, welchen Einfluss auf die Konkurrenzverhältnisse diese Unterschiede haben? Angelica Schwall-Düren: In der Tat ist das ein Problem in der Europäischen Union, weil das Lebensstandard in den EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausfällt. Das bedeutet, dass man in einem Land mit geringeren Löhnen zurecht kommen muss als im anderen. Es gibt ungleiche Methoden der Finanzierung der Sozialsysteme, wobei solche Systeme überall existieren. Außerdem haben wir auf der europäischen Ebene eine große Verantwortung, wenn es um die so genannten vier Freiheiten geht. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, Kapital, Waren und Dienstleistungen frei zirkulieren können. In diesen Bereichen gibt es im Moment viele Möglichkeiten, das zu gestalten. Ich glaube nicht, dass allein die Tatsache, dass im Baubereich ein großes Unternehmen kleinere Subunternehmen beschäftigt, der Beweis dafür sein muss, dort werden illegale oder völlig unsoziale Praktiken durchgeführt. Im Baubereich haben wir in Deutschland einen legalen Schutz für Arbeitnehmer: das so genannte Entsendegesetz, das Mindestlöhne sichert, so dass ein polnisches Unternehmen, in dem Fall also ein in Deutschland arbeitendes Subunternehmen, seinen Beschäftigten den Mindestlohn zahlen müsste. In den allermeisten Bereichen jedoch existiert ein solcher gesetzlicher Schutz in der Tat nicht, obwohl wir ihn brauchen. Ich persönlich bin nicht von einer allgemeinen europäischen Dienstleistungsrichtlinie überzeugt, die auch im politischen Raum umstritten ist. Das europäische Parlament ist zu keiner vorläufigen Entscheidung gekommen, weil die Einführung des so genannten Herkunftslandprinzips nicht akzeptiert wurde. Das Prinzip besagt, dass jeder Dienstleister in jedem anderen europäischen Land mit den Rechtstatbeständen seines Herkunftslandes seine Dienstleistungen anbieten und durchführen könnte. Wir müssten uns zurecht darum sorgen, dass dann solche Erscheinungen, wie Lohndumping, Sozialdumping und zum Teil Qualitätsprobleme vorkommen. Dies aber sollte uns nicht dazu verleiten, Dienstleitungsfreiheit abzuschaffen. Es ist doch nachgewiesen, dass die Freiheiten zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Dynamik führen, von der wir alle profitieren. Wichtig ist aber, Wege zu finden, parallel zur Angleichung der Lebensverhältnisse Schutzfunktionen einführen können, die den Wettbewerb nicht einschränken, sondern verhindern, dass wir zu viele Menschen am Wegesrand zurücklassen. Denn diese Menschen können leicht ins soziale Abseits geraten, wo sie den eigenen Platz in der Gesellschaft nicht mehr finden. Cornelius Ochmann: Gibt es in der breiten Spanne der Kooperation und Konkurrenz, über die wir diskutieren, ein gemeinsames deutsch-polnisches Interesse? Kann die deutsche, kann die polnische Wirtschaft durch Investitionen die Konkurrenzfähigkeit auf den globalen Märkten erhöhen? Reinhard Klein: Von Hause aus bin ich ein Optimist. Das übertrage ich auch gern auf die Wirtschaft – da gibt es positive Tendenzen! Ich nenne ein paar Beispiele und bleibe bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn wir mal Schwerpunkte in Polen betrachten, wie Posen mit Volkswagen Deutschland und der Arbeitslosenquote zwischen 5,6 und 6,7 Prozent, wenn wir nach Gleiwitz gehen und uns das Opel-Werk ansehen – das sind doch alles Mosaiksteine in der Kooperation. Das möchte ich als Kooperation bezeichnen. Ich komme gleich auf die Konkurrenz zu sprechen. Die in der Diskussion gestellte Frage – Kooperation oder/und Konkurrenz? – darf nicht heißen, Konkurrenz oder Kooperation, sondern Kooperation und Konkurrenz. Ich kann mir eine Wirtschaft ohne Konkurrenz nicht vorstellen. An der Stelle möchte ich noch zwei, meiner Meinung nach, sehr wichtige Begriffe nennen, die heute in der Debatte noch nicht gefallen sind. Das ist zum einen Qualität und zum anderen Produktivität. In vielen Wirtschaftszweigen gibt es schon intensive Kooperationen mit den neuen EU-Ländern und diesen Weg müssen wir immer wieder vor Augen haben, weil diese Länder in den letzten fünfzehn Jahren qualitativ eine solche Steigerung erlebt haben, dass die Qualitätsprobleme eigentlich kein Thema mehr sein sollten. Das stimmt mich positiv auch für die Zukunft. Denn die Kooperation und Konkurrenz gehen immer gemeinsam. Und das bedeutet nur positive Entwicklungen für unsere beiden Länder – Polen und Deutschland. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Situation in Polen wegen der niedrigen Kosten auch in den nächsten Jahren ändern muss und sie wird sich auch ändern. Und ich hoffe, dass solche Prozesse allmählich stattfinden und nicht überstürzt verlaufen. Es ist wahr, dass es unter den Unternehmern schwarze Schafe gibt: keine Frage. Und unter diesen Umständen muss man den Finger in die Wunde legen um so etwas öffentlich zu machen. Aber generell ist die faire Kooperation und Konkurrenz in der Wirtschaft ein enorm wichtiges Element, um auch für die Zukunft Produkte mit Qualität und mit entsprechender Kostenstruktur entwickeln zu können. Das vorliegende Gespräch fand im Rahmen der Jahrestagung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband am 8. Oktober 2005 in Bad-Zinnowitz auf Usedom statt. Bearbeitung des Gesprächs: Joanna Majkowska Bruno Altenschöpfer, SOLARIS Deutschland GmbH; Agnes Jarzyna, Europäischer Verband der Wanderarbeiter mit Sitz in Frankfurt am Main; Dr. Reinhard Klein, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG in Gorzów Wlkp., stellv. Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband; Dr. Angelica Schwall-Düren, Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband; Cornelius Ochmann, Osteuropaexperte der Bertelsmann Stiftung.