9.3.2006 – 17:49 Uhr
von Katarina Connheim, BYGGNASARBETAREN Schweden, Februar 2006
Zunehmende Arbeitslosigkeit und gedrückte Löhne / Deutscher Bauarbeitsmarkt steckt in der Krise. Die Situation ist alptraumhaft mit hoher Arbeitslosigkeit, gedrückten Löhnen und Konkurrenz von Niedriglohnländern. Am härtesten betroffen sind die ausländischen Bauarbeiter. Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer durch die neu gegründete grenzüberschreitende Gewerkschaft EMWU. „Was soll ich tun? Ein Restaurant eröffnen? Meine Chancen, andere Jobs zu bekommen, sind gering.“ Der 48-jährige deutsche Gerüstbauer Harald Laner breitet die Arme mit einer resignierten Geste aus.
09Nachdem ihn sein Arbeitgeber um seinen Lohn betrogen hat, suchte er Hilfe bei der Bauarbeitergewerkschaft IG BAU in Frankfurt. „Der Arbeitgeber schuldet mir etwa 38.000 Kronen. Ich fühle mich betrogen“, sagt Harald Laner aufgebracht. Sein Kollege Giovanni Dalessandri fühlt sich ebenfalls betrogen. Er sitzt in sich gesunken auf dem Stuhl und erzählt, dass die Probleme vor etwa zehn Jahren begonnen haben. Kurzzeitverträge von drei Monaten. Manchmal zahlt der Arbeitgeber, manchmal nicht. Mit Löhnen, die unter 100 Kronen pro Stunde liegen. Immer unter dem Mindestlohn. „Es ist nicht genug, um die Miete zu zahlen. Meine Frau arbeitet als Putzfrau im Flughafen und verdient sehr wenig. Aber warum sollten sie mich einstellen, wenn sie zwei Rumänen zum gleichen Lohn bekommen können.“ Die Verzweiflung und Frustration ist groß bei den deutschen Bauarbeitern. Bei den polnischen Bauarbeitern in den Baracken sechs bis sieben Kilometer südwestlich von Frankfurt ist die Angst noch größer. In der Küche, mit einigen Kochplatten entlang der Wand, informiert Agnes Jarzyna in fließendem Polnisch über die neu gegründete Gewerkschaft für ausländische Wanderarbeiter. Nach der kurzen Information zupft der polnische Bauarbeiter Piotr Murawski an Agnes Jarzyna. Er will uns etwas erzählen, er drängt uns in sein Zimmer und schließt die Türe. In dem etwa 15 Quadratmeter großen Zimmer gibt es drei Betten, einen Tisch, einige Stühle, einen Kühlschrank und Handtücher, die zum Trocknen aufgehängt sind. Der Fernseher beleuchtet kaum die schmutzig braunen Gardinen und die abblätternde Farbe an der gelben Wand. Piotr Murawski nimmt sofort die drei Bierflaschen vom Tisch, denn er versteht, es geht um ein Interview. Piotr Murawski, der aus Angst nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden will, hat eine Familie – Frau und drei Kinder – im Südwesten Polens. Aber dort gibt es keine Jobs in der Baubranche. Deswegen arbeiten er und zwei andere polnische Bauarbeiter in Deutschland für eine große polnische Firma. Piotr meint, dass die Arbeitsbedingungen gut sind, und er sagt, dass er normale Arbeitszeiten hat. Aber was er verdient, möchten weder er noch seine Arbeitskollegen sagen. „Nein. Der Arbeitgeber meint, das dürfen wir nicht sagen.“ Früher haben sie für kleinere polnische Unternehmer gearbeitet, aber in den zwei letzten Monaten haben sie ihren Lohn nicht erhalten. „Es gab Probleme“, sagt Piotr. Deswegen schlossen sie sich EMWU an, der europäischen Gewerkschaft für Wanderarbeiter. Aber der Chef weiß davon nichts. Der polnische Bauarbeiter sagt, sie hätten Angst, dass der Chef davon erfährt. EMWU schätzt, dass es etwa 20.000 polnische Bauarbeiter in Deutschland gibt. Meistens arbeiten sie für einen polnischen Subunternehmen, das Hauptunternehmen ist deutsch. Dass die ausländischen Firmen doppelte Verträge verwenden, kommt sehr häufig vor. Die polnischen oder rumänischen Bauarbeiter unterschreiben einen Vertrag in ihrem Heimatland. Dann wird ein ganz anderer Vertrag in Deutschland vorgelegt. Danach erhalten sie den Mindestlohn, arbeiten 39 Stunden pro Woche und der Arbeitgeber bezahlt Krankenversicherung und Urlaubsgeld. In Wirklichkeit erhalten sie meist weniger als den Mindestlohn, arbeiten mehr Stunden und der Arbeitgeber kümmert sich nicht um Krankenversicherung und Urlaubsgeld. Die meisten, die Kontakt mit EMWU aufnehmen, haben Probleme mit ihrem Lohn. „Viele erhalten ihren Lohn für die letzten zwei Monate nicht. Ist der Bau fertig, werden die Bauarbeiter heimgeschickt“, sagt Agnes Jarzyna, Mitarbeiterin von EMWU. Bei einem Unfall am Arbeitsplatz kann der Bauarbeiter sofort heimgeschickt werden, ohne zuvor einen Arzt aufgesucht zu haben. „Dann kann man nicht beweisen, dass es ein Arbeitsunfall ist. Genau das wollen die Arbeitgeber“, sagt Agnes Jarzyna. Die Organisation steht deswegen in Kontakt mit Ärzten, die mehrere Sprachen beherrschen. An die können sich die Bauarbeiter wenden, wenn sie verletzt werden. Die neu gegründete Organisation bedeutet einen Hoffnungsschimmer in der sonst so düsteren Lage. Frank Schmidt-Hullmann, Chef der internationalen Abteilung der IG BAU, ist desillusioniert. „Ich sehe keine echte Lösung, solange die Lohnunterschiede da sind. Wir haben alles versucht, aber wir wissen nicht, wie wir das Problem lösen sollen. Deswegen bauen wir die neue Organisation auf“, sagt er und zündet ein neues Zigarillo an. Die Probleme begannen vor etwa 15 Jahren. Am Anfang, nach dem Fall der Mauer, gab es viel Arbeit in Ostdeutschland. Aber Mitte der 1990er Jahre war das meiste fertig und ostdeutsche Baufirmen drückten die Preise im Westen. 1996 setzte die Gewerkschaft IG BAU einen so genannten Mindestlohn für die Baubranche durch. Aber die Lage besserte sich nicht. In den vergangenen zehn Jahren schrumpfte die Baubranche von 1,5 Millionen auf 800.000 Personen. In den vergangenen sechs Jahren gingen unter anderem zwei große Baufirmen, Holzmann und Walter Bau, in Konkurs. Andere große deutsche Firmen feuerten viele ihrer deutschen Beschäftigten und stellten stattdessen billige ausländische Subunternehmer ein. Zudem arbeiten etwa 400.000 Menschen illegal in der Baubranche. Am stärksten betroffen sind diejenigen von außerhalb der EU; zum Beispiel Russen und Ukrainer. Die organisierte Kriminalität floriert, manche Baufirmen sind von der Mafia gesteuert. Diejenigen, die auffliegen, müssen im Vergleich zu den Gewinnen, die sie machen, verhältnismäßige geringe Bußgelder zahlen. „Das Risiko, einen Strafzettel fürs Falschparken zu bekommen, ist größer, als wegen illegaler Arbeitsmethoden gefasst zu werden“, sagt Frank Schmidt-Hullmann resigniert. Die Löhne werden gedrückt und die Arbeitslosigkeit ist hoch, 20 bis 25 Prozent im Westen, 30 bis 35 Prozent im Osten. Auf den deutschen Baustellen haben viele Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Der Schweißer Norbert Burghardt fühlt die Konkurrenz der osteuropäischen Niedriglohnländer. „Die Situation ist sehr schlecht. Jeder hat Angst, seinen Job zu verlieren.“ Der deutsche Maler Armin Denzel ist besonders wütend. Er hat 28 Jahre in der Baubranche gearbeitet und meint, dass alles schlimmer geworden ist. „Die Löhne sinken. Ein fertig ausgebildeter Maler bekommt nur 100 Kronen pro Stunde. Die Polacken sind schuld“, sagt er. Aber dann besinnt er sich. „Nein. Die können nichts dafür. Es sind die Politiker, die die Gesetze ändern müssen.“ Die Freizügigkeit innerhalb der EU wird nicht einmal unter den polnischen Bauarbeitern, die in den Baracken außerhalb Frankfurts leben, geschätzt. Am liebsten würden sie nicht in Deutschland arbeiten. „Niemand möchte von seinem Heimatland weggehen. Wir wollen arbeiten, wo wir zu Hause sind“, sagen sie. Das sind Mindestlöhne: In Deutschland verhandeln die Gewerkschaft und die Arbeitgeber einen gemeinsamen Vertrag für die Baubranche. Dieser wird durch die Regierung gesetzlich verankert, was allgemeingültiger Tarifvertrag genannt wird. Dieser gilt auch für Arbeitgeber, die nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sind, sowie für ausländische Unternehmer. Aber dieser „Mindestlohn“ gilt nur für unqualifizierte Bauarbeiter oder jene, die gering qualifiziert sind. Mindestlohn für Bauarbeiter ohne Ausbildung ist 10,20 Euro pro Stunde, für gering Qualifizierte 12,30 Euro pro Stunde (Westdeutschland). Für die östlichen Bundesländer sind die vergleichbaren Mindestlöhne 8,80 und 9,80 Euro. Für qualifizierte Bauarbeiter sind die Löhne höher, 14,78 Euro. Das wird durch den Tarifvertrag geregelt, nicht per Gesetz. Tendenziell bezahlen die Arbeitgeber auch für qualifizierte Bauarbeiter immer häufiger nur den Mindestlohn statt Tariflohn. 1 Euro = 9,34 Kronen (13.2.2006).