12.8.2009 – 15:46 Uhr
von Mihai Balan, Beata Tarnowska und Malgorzata Zabron
Es war zunächst schon sehr befremdlich, als wir beim Stöbern im Labournet (www.labournet.de) von Externen erfahren mussten, dass der EVW, unser Arbeitsplatz, »am Ende« und »ad acta« gelegt worden sei. Entgegen der Realität der Arbeit des EVW, welche unter den wie auch immer veränderten Umständen [2] fortgeführt wird, behaupten Berger und Meyer in der (linken) Öffentlichkeit, dass es den EVW gar nicht mehr gebe – dies, obwohl die letzte Aktion des EVW, die er gemeinsam mit der IG BAU durchgeführt hatte, gerade mal wenige Monate zurück lag. (Siehe express, Nr. 1/2008)
Dass die Arbeit des EVW damit nicht eingestampft sein kann, wie Berger und Meyer den Lesern suggerieren, dafür hätte allerdings schon ein Blick in die Presse genügt.[3] Alles also nur ein Missverständnis? Eventuell ja. Es hätte sich ja nur einer der beiden Autoren in Recherchearbeit begeben oder, noch besser, direkt an die Kollegen aus dem EVW wenden müssen. Von uns hätte er dann erfahren können, dass die Arbeit fortgeführt und an der Idee des EVW prinzipiell festgehalten wird. Diese Möglichkeit wurde versäumt. Ebenfalls wurde bei keinem der aus dem Vorstand der IG BAU zuständigen Kollegen nachgefragt. Ein Missverständnis also? Eventuell nein! Eventuell wollten Berger und Meyer nur in nietzscheanischer Manier dem als schwankend phantasierten EVW den zum Fall notwendigen Tritt verpassen. Nur: Wir sind nicht im Fall begriffen und lassen uns auch nicht treten! Jedenfalls nicht von falschen Freunden, die unter der Tarnkappe der Kritik ihr Ressentiment zu decken suchen. Da für eine kritische Analyse des Artikels von Berger und Meyer die persönlichen Motive der Autoren nur von nachrangiger Bedeutung sind und letztlich Gegenstand der Spekulation bleiben müssen, soll von unserer Seite aus zu den im Artikel selbst auffindbaren Motiven ihrer »Kritik« Stellung bezogen werden. Es stimmt zunächst, dass die operative Tätigkeit des EVW an die IG BAU übergeben worden ist. Dies hängt, wie Berger und Meyer der IG BAU-Stellungnahme richtig entnehmen, unmittelbar damit zusammen, dass der EVW im Laufe seiner Entwicklung nicht genügend Eigenständigkeit gewinnen konnte. Weder konnten genügend Wanderarbeiter langfristig organisiert werden, noch gab es von anderen in- und ausländischen Gewerkschaften den gewünschten Rückhalt dafür, dass eine solche Form der (europaweiten) Organisierung und Organisation hätte langfristig finanziert werden können. Doch damit, dass die operative Tätigkeit an die IG BAU abgetreten wurde, ist ganz und gar nicht gesagt, dass die Organisation der Wanderarbeiter aufgegeben und die Idee des EVW fallengelassen wurde. Unter gewissen Gesichtspunkten erscheint die Wiederannäherung des EVW an die IG BAU als sehr vernünftig. Wenn die Bezirksverbände den EVW um einen Teil seiner Arbeit entlasten und damit im EVW mehr Zeit für andere dringend nötige Tätigkeiten (Info- und Werbekampagnen, zeitaufwendige Verdolmetschungstätigkeiten, Austausch mit ausländischen Gewerkschaften etc.) vorhanden ist, dann kann der EVW das nur willkommen heißen. Dass die Anforderungen an den EVW z.T. auch irrationale Arbeitsformen zur Konsequenz hatten, ist zumindest für die Mitarbeiter des EVW seit langem keine Frage mehr. Die Bezirksverbände der IG BAU bieten darüber hinaus einen reichen Erfahrungsschatz und haben ihre eigenen Netzwerke, von denen eine Organisierung der Wanderarbeiter nur profitieren kann. Statt einer zentralistischen Organisation, die oftmals bis an die Grenzen ihrer Fähigkeiten gebracht wurde, wird nun versucht, die Idee des EVW in die gesamte IG BAU zu tragen. Was kann daran so falsch sein? Aus diesen und anderen, hier nicht darstellbaren Gründen wurde auf der Mitgliederversammlung vom 7. November 2008 die Satzungsänderung des EVW hin zu einem gemeinnützigen Verein beschlossen, in dessen Rahmen nun die oben beschriebenen Tätigkeiten erbracht werden. In der Rede vom »Ende des Kapitels EVW« liegt unserer Auffassung nach zudem ein blinder Fleck in der Argumentation von Berger und Meyer: Wenn das »EVW-Scheitern«, das »EVW-Fiasko« von den beiden Autoren konstatiert und die Frage aufgeworfen wird, »ob die Binnenstruktur des Organizing im EVW tat-sächlich nur eine bedauerliche Ausnahme darstellt«, wird anhand der nicht verstandenen Praxis des EVW das Organisingkonzept als solches fallen gelassen. Dass der EVW trotz und gerade wegen seiner strukturellen Schwäche nur in einem gewissen Sinne »Handlungsfähigkeit« besaß, nur eine gewisse Form von »Partizipation« ermöglichte und damit auch nur eine mögliche Form von »Gewerkschaftserneuerung« darstellte, wird zwar von Meyer und Berger verneint werden, hat aber viel mit der Realität des EVW zu tun. Mit der Kritik am EVW verhält es sich wie mit dem Kind in der Wanne, dass man gleich mit dem ganzen Bade ausschüttet. Tatsächlich stellt der EVW jedoch den ersten Versuch einer deutschen Gewerkschaft dar, der sich explizit um die Organisation von MigrantInnen bemüht hat und nun in anderer Form weitergeführt wird. Der EVW war in keinem Fall die beste aller Wanderarbeitergewerkschaften und auch auf gar keinen Fall der einzig mögliche Umgang mit dem Phänomen der Wanderarbeit. Nur wer das einsehen kann, wird seinen Blick erweitern und sich einer pauschalisierenden Kritik erwehren können. An dem Artikel von Berger und Meyer fällt generell auf, dass die beiden Autoren den Mythos vom EVW als bloßer Imagekampagne der IG BAU ausbauen wollen. Demnach hätte die IG BAU den EVW nur deshalb installiert, weil sie ihr angeblich vorhandenes rassistisches Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit wettzumachen gesucht habe. Der IG BAU wird zudem unterstellt, dass sie mit der Installierung des EVW von einer internen Krise (Mitgliederschwund, »innere Entdemokratisierung«) ablenken wolle. Wir wollen und können uns an dieser Stelle nicht mit den Strukturen der IG BAU beschäftigen, erinnern aber daran, dass es der IG BAU trotz ihres enormen Mitgliedsschwunds gelungen ist, den Mindestlohn aufrecht zu erhalten. Was wir als MitarbeiterInnen des EVW jedoch zum Vorwurf des Rassismus selber sagen können ist, dass wir im Laufe unserer Aktionen durchgehend positive Erfahrungen mit unseren KollegInnen aus der IG BAU gemacht haben. Ganz im Gegensatz zu dem verbreiteten Gerücht von der rassistischen IG BAU haben wir unsere KollegInnen vielmehr als für die Probleme der WanderarbeiterInnen und unsere Tätigkeit im EVW emphatische Menschen kennen und schätzen gelernt. Der Rassismus-/Nationalismusvorwurf ist aber insofern nicht ganz aus der Luft gegriffen, als in allen deutschen Gewerkschaften diverse Spektren an Einstellungen und Vorstellungen bei den Mitgliedern vorhanden sind. In der Allgemeinheit jedoch, in welcher der Rassismus/Nationalismus innerhalb der IG BAU von Berger und Meyer suggeriert wird, ist er sicherlich falsch und zeugt eher von Rancune oder Unkenntnis. [4] Gegen die Aktionen der IG BAU und des EVW, die zusammen mit dem Zoll/der Finanzkontrolle Schwarzarbeit geführt werden, besteht bei Berger und Meyer ebenfalls ein großer Vorbehalt. So wird bei den Autoren auch schnell der Vorwurf gegen die Gewerkschaften erhoben, sie würde tendenziell gegen »Illegale« vorgehen. Dass die Kampagne der IG BAU »Ohne Regeln geht es nicht!« sich nicht gegen MigrantInnen richtet, sondern gegen »illegale (sic!) Beschäftigung« und damit gegen die Unternehmer, welche illegal beschäftigen, geht in der vereinfachenden Kritik von Berger und Meyer unter.[5] Wir vom EVW nehmen eher mit Freude zur Kenntnis, dass die MitarbeiterInnen des Zolls/der Finanzkontrolle Schwarzarbeit die in Deutschland arbeitenden MigrantInnen in den Fällen, in denen wir bislang mit Zoll und Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu tun hatten, nicht als Lohndrücker und Illegale betrachtet haben. Die Zöllner und Kontrolleure haben nach unserer Erfahrung ganz im Gegenteil sehr häufig dazu beigetragen, dass die betrogenen Wanderarbeiter in den Genuss der staatlich vorgesehenen Mindestrechte (Mindestlohn und allgemeinverbindliche Arbeitsrechte) gelangen. Wir können getrost sagen, dass wir zusammen mit der IG BAU zu einem gesellschaftlichen Umdenken und einer fortschrittlichen Praxis im Umgang mit Wanderarbeitern beigetragen haben. All dies muss jenen entgehen, die sich dem Weiterspinnen von Mythen hingeben. Resümierend lässt sich feststellen, dass es Berger und Meyer weder um eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Idee des EVW noch mit den daran Beteiligten, sondern vielmehr um einen üblen Nachtritt ging. Dieser Nachtritt verfehlt zwar die Idee und Praxis des EVW, nicht aber unser eigenes Befinden. An dieser Stelle muss auch Matthias Kirchner, Ex-Generalsekretär des EVW, in Schutz genommen werden. Meyer und Berger zitieren Kirchner mit der Aussage, nach der »Fünfeuro-Polen« die deutschen Tarife ruinieren würden. Nach all unserer Erfahrung mit Kirchner müssen wir davon ausgehen, dass, wie auch in den anderen Fällen im Artikel von Berger und Meyer, falsch oder jedenfalls einseitig zitiert wurde. Wenn im EVW die Zitate »Fünfeuropolen«, »Billig-Rumänen« etc., welche bei Unternehmern und in der deutschen Öffentlichkeit kursieren, gebraucht wurden, dann kann davon ausgegangen werden, dass wir diese Kategorien kritisch und mit der dazugehörigen Distanz verwendet haben. Dass die Gewerkschaftsarbeit im Allgemeinen und die des EVW im Besonderen nicht per se frei von Kritik sein kann, ist eine Sache; eine ganz andere hingegen ist es, wenn statt der nötigen Kritik der Rassismusvorwurf in identitätsstiftender Weise erhoben wird. * Alle drei sind Beschäftigte des EVW (www.emwu.org ) Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/08 (1) Der Artikel ist erschienen in: »ak – zeitung für linke debatte und praxis«, Nr. 531, 31.9.2008 und ist auch im labournet.de zu lesen auf: www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/real/evw_ak.html. (2) Vgl. hierzu die (natürlich nicht vollständigen) Angaben über die zukünftigen Tätigkeiten des EVW in dem Beitrag von Frank Schmidt-Hullmann: »EVW: überhaupt kein Ende. Nur ein neuer Anfang«, der ebenfalls auf labournet.de zu finden ist: www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/real/evw_sh.html. (3) Siehe etwa den Artikel auf: http://de.indymedia.org/2008/07/222882.shtml . (4) Von ebensolchem Ressentiment gezeichnet scheint uns der Artikel: »Die billigen Jobber vom Polen-Strich. Osteuropäische Schwarzarbeiter in Deutschland: Von Bauunternehmern angefordert, von Gewerkschaftern gehasst, von Behörden gejagt«, von Lutz Eichler zu sein. In dem Artikel, abgedruckt in der Jungle World vom 22./29. Dezember 1999, wird die IG BAU in ihrer Funktion als Gewerkschaft, die von Eichler als verlängerter Arm der Staatsmacht missverstanden wird, im Grunde als konservierendes Moment eines als Volksgemeinschaft phantasieren deutschen Volkes verhöhnt. Siehe hierzu den Artikel auf: www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_99/52/12a.htm . (5) Vgl. hierzu die Stellungnahme von Frank Schmidt-Hullmann (s. Fußnote 2), der auf die Differenzen von »Illegalen« und »illegaler Beschäftigung« eingeht. Ein genauerer Blick in den von Berger und Meyer zitierten Artikel von Jan Ole Arps: »Mach meinen Kumpel nicht an! Über Kritik und Praxis der IG BAU«, abgedruckt in »ak – zeitung für linke debatte und praxis«, Nr. 486, 20.08.2004 auf: www.akweb.de/ak_s/ak486/39.htm , der ein Schreiben des Vorstandes der IG BAU zitiert, in dem Klaus Wiesehügel und Dietmar Schäfers die Kampagne der IG BAU gegen ihre Kritiker verteidigt, hätte genügt, um den Vorwurf des Rassismus/Nationalismus gegenüber der Organisation als solcher nicht wieder formulieren zu müssen.
Weiterführender Link: http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/real/evw_bataza.html