13.10.2004 – 13:24 Uhr
von „Lausitzer Rundschau“ Heinz Siebold
Ein Europäischer Verband der Wanderarbeiter (EVW) ist zu Monatsbeginn auf Initiative der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) gegründet worden. Für die Anschubfinanzierung gewährt die IG Bau ein Darlehen von 1,5 Millionen Euro, ihr Vorsitzender Klaus Wiesehügel übernimmt für den Anfang den Vorsitz. Generalsekretär ist Matthias Kirchner.
Wanderarbeiter gibt es nicht nur in alten amerikanischen Filmen. Eine halbe Million – vor allem osteuropäische Spargelstecher, Erdbeerpflücker und Gurkenpflücker – sorgen allein in Deutschland dafür, dass die Ernte rechtzeitig eingeholt wird. Auf deutschen Baustellen schalen, betonieren und mauern rund 50 000 ausländische «Entsendearbeitnehmer» . Für sie alle, die oft unter Tarif bezahlt und in schäbigen Unterkünften wie Barracken und Wohnwagen untergebracht sind, gibt es nun erstmals einen Verband, der ihre Interessen transnational vertreten will: Am 1. September wurde der EVW gegründet.
Mindeststandards als Ziel
Der neue Verband (www.migrant-workers-union.org) will Wanderarbeitern Rechtsschutz gewähren und ihnen helfen, ihre Lohnansprüche durchzusetzen. Zudem strebt er Mindeststandards bei Verpflegung und Unterkunft an. Der Monatsbeitrag ist mit zwölf Euro sehr niedrig für eine Gewerkschaft. Zunächst wird sich der EVW auf polnische Arbeiter konzentrieren, weil diese die größte Gruppe der ausländischen Arbeitnehmer in Deutschland stellen.
Um die Interessen der Mitglieder besser vertreten zu können, sucht der Verband Partner im Ausland. Lose Kooperationen gibt es bereits mit polnischen und tschechischen Gewerkschaften. Zudem hofft die IG Bau, dass das Beispiel auch in anderen Ländern Schule macht. Ermuntert wurden die Gewerkschafter durch eine Studie unter ausländischen Bau-Beschäftigten, die ergab, dass gut die Hälfte der «Entsendearbeiter» bereit wäre, einem gewerkschaftlichen Verband beizutreten.
Mehrsprachliche Hauptamtliche
Der EVW soll unabhängig von der IG Bau über einen eigenen Stamm an mehrsprachlichen Hauptamtlichen verfügen und offen für alle Beschäftigten sein, die auf den bundesdeutschen Baustellen und Äckern vertreten sind. Ziel des Verbandes ist die Durchsetzung geltender gesetzlicher und tariflicher Regeln für Wanderarbeiter sowie der Abschluss von Tarifverträgen, die der Situation der nicht-deutschen Beschäftigten gerecht werden. Das ist sicher eine heikle Aufgabe, denn viele der Arbeiter sind ohne offizielle Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis tätig, sie werden im Baugewerbe oft unter dem allgemein verbindlichen Mindestlohn bezahlt und müssen statt 40 oft 60 Stunden pro Woche arbeiten – ohne Überstundenausgleich.
Nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz müsste ausländischen Bauarbeitern, die im Rahmen eines Werkvertrages vorübergehend in Deutschland beschäftigt sind, der gleiche Lohn bezahlt werden wie den deutschen Kollegen. Teilweise kriminelle Subunternehmer betrügen ganze Arbeitskolonnen um ihren Lohn. Die Kontrollen der deutschen Zollämter treffen häufig nur die illegal Beschäftigten, nicht aber deren kriminelle Arbeitsvermittler im Ausland.
Saisonarbeiter in der Land- und Forstwirtschaft dürfen rechtmäßig eigentlich nur drei Monate im Kalenderjahr in Deutschland und nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden. Sie unterliegen der Sozialversicherungspflicht. Anwerben und vermitteln darf nur die Agentur für Arbeit.