24.12.2006 – 9:35 Uhr
von Ulrich Stolte in „Blick vom Fernsehturm“ 22.12.2006
Degerloch. Ein kleines Weihnachtswunder ist wahr geworden: Die zehn polnischen Bauarbeiter, die seit Mitte Dezember in Degerloch festsitzen, fuhren gestern Morgen nach Polen zurück. Die Fahrt wurde möglich durch Leserspenden sowie eine Geldanleihe des Vermieters und der Gewerkschaft IG Bau. Donnerstag morgen um acht war Bescherung: Nikolaus Landgraf von der IG Bau brachte 600 Euro als Leihgabe von der Gewerkschaft.
Er nahm den zehn polnischen Bauarbeitern das Versprechen ab, wieder nach Deutschland zu kommen, falls die Staatsanwaltschaft sie brauche. Ebenso halfen unsere Leser mit Geldspenden weiter, den dicksten Umschlag jedoch erhielten sie von ihrem Vermieter, der ihnen 3000 Euro lieh, „damit sie ihren Kindern etwas zu Weihnachten kaufen können“. Das Schicksal der zehn polnischen Männer hatte viele Menschen in Degerloch und den anderen Teilen der Filder bewegt. Die Polen waren im November nach Deutschland gekommen, um in Bonlanden und in Stuttgart-Rohr Wohnhäuser zu errichten im Auftrag der Firma Uma Strnad. Ohne zu wissen, was sie da unterschrieben, wurden sie in Stuttgart als Einzelunternehmer angemeldet und zu einem Subunternehmen zusammengeschlossen als Eisenbieger und Montagehelfer – weil das Berufe sind, in denen man keinen Meistertitel braucht, um ein Gewerbe anzumelden. Tatsächlich waren die Bauarbeiter allen möglichen Bauberufen nachgegangen. Besonders dreist: Die Firma wurde auf die Adresse ihres Vermieters angemeldet, der davon nichts wusste. Weil sie angeblich schlecht gearbeitet hätten, verweigerte ihnen die Firma Uma Strnad die Bezahlung. Die Männer saßen mittellos fest. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Strnad eingeleitet und prüft, ob sich der Betrugsverdacht erhärtet. Zunächst versorgte ihr Vermieter die Arbeiter mit Essen und hielt ihnen die Wohnung frei. Donnerstag vor einer Woche schaltete sich die Gewerkschaft IG Bau ein und am Dienstag der Europäische Verband der Wanderarbeiter (EVW). Gemeinsam versuchten sie, von der Firma Geld zu bekommen. Es waren zähe und nervenaufreibende Verhandlungen, die zu keinem Ergebnis führten. Uma Strnad bot an, den Bauarbeitern insgesamt 4000 Euro zu bezahlen, wenn sie dafür auf alle Rechtsansprüche verzichteten. Im Gegensatz forderte Nikolaus Landgraf 2400 Euro in bar für die Rückreise, ohne Anerkennung irgendwelcher Rechtspflichten. Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, zeigten die Bauarbeiter ihre ehemalige Auftraggeberin an. Die beiden Mitarbeiterinnen des EVW sind ebenfalls gestern abgereist, mit den Taschen voller Formulare. Sie werden den Fall nacharbeiten, aber sie sind nicht ganz so erleichtert wie die Bauarbeiter, weil für sie der Fall erst dann abgeschlossen ist, wenn die Gerichte entschieden haben. Eigentlich wollten die Männer am frühen Vormittag auf die Reise gehen, doch es gab eine letzte Verzögerung. Jemand hatte ihnen Nägel in die Reifen geschlagen.