24.5.2007 – 8:28 Uhr
von Martin Wein in „Wilhelmshavener Zeitung“, 24.05.07
Wilhelmshaven Die Vorwürfe wiegen schwer: Undichte Atemschutzmasken, Brandlöcher in den Luftschläuchen und Vollschutzanzügen, leere Batterien in den Maskenfiltern. Bei der Asbestsanierung des einstigen Kreuzfahrtschiffes „Rotterdam“ in Wilhelmshaven sollen 200 polnische Wanderarbeiter seit November 2006 erheblichen Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt sein. Nach einem Hinweis deutscher Hafenarbeiter auf die Zustände gingen die Betroffenen jetzt gemeinsam mit Vertretern der IG Bau aus Oldenburg und dem Polnischen Verband der Wanderarbeiter in die Öffentlichkeit.
„Wir haben Mängel festgestellt“, bestätigt Uwe Rottmann, Leitender Gewerbedirektor des zuständigen Gewerbeaufsichtsamtes in Oldenburg. In einem rauen Betrieb wie diesem blieben Pannen im Arbeitsschutz leider selten aus. Durch Schweißarbeiten seien Schutzanzüge und Schläuche beschädigt worden, bestätigt er die Vorwürfe. Es habe aufgrund der Beschwerden im Laufe der Zeit immer wieder unangemeldete Kontrollen gegeben. Die Mängel seien aber inzwischen behoben, auch wenn in dieser Woche noch ein weiterer Klärungstermin mit der ausführenden Firma Derksen Polska, einer polnischen Tochtergesellschaft der niederländischen Firma Derksen Dienstverlening, vor Ort stattfinde. „Die beschriebenen skandalösen Zustände können wir aber insgesamt betrachtet nicht feststellen“, betont Rottmann. Das sieht Czeslaw Marzec vom Verband der Wanderarbeiter aus Warschau anders. Sowohl die Arbeitsbedingungen auf dem Schiff als auch die Unterbringung der Arbeiter lasse viel zu wünschen übrig. Er führt in eine Wohnung in der Peterstraße. Dort leben in drei Zimmern 15 Männer auf engstem Raum zusammen. Die Wohnung ist sauber. Pro Bett müssten sie 220 Euro im Monat für diese Unterkunft bezahlen. Darin enthalten seien ein spärliches Frühstück und ein Mittagessen, das aber kaum den Hunger stille. Die Wilhelmshavner Dienstleister für Unterkunft und Essen weisen die Vorwürfe entschieden zurück (siehe neben stehenden Artikel). Die versprochenen Heimfahrten würden auch nicht eingehalten, klagt ein Arbeiter. Er sei seit zwei Monaten ohne Pause auf der Baustelle. Vor allem ängstigt die Arbeiter aber die Arbeit mit dem Asbest. „Ich habe die Vorarbeiterin gefragt, wie ich mit einer kaputten Maske arbeiten soll“, sagt Sebastian Raszewski. „Sie antwortete, das sei mein Privatproblem.“ Der 26-Jährige aus dem ehemaligen Oppeln berichtet wie seine Kollegen, es fehle an ausreichend Masken. So seien sie von einer 11-Stunden-Schicht an die nächste weitergereicht worden – ohne Reinigung und ohne aufgeladenen Akku. Erst später hätten die Arbeiter erfahren, dass in diesem Fall der Luftfilter nicht funktioniere. Ob durch Asbest oder die schlechte Luftversorgung – einige Arbeiter seien ohnmächtig geworden, berichtet Marzec vom Wanderarbeiterverband. „Wir haben das Thema bislang vorsichtig gefahren, weil die Aussagen vielfach widersprüchlich waren“, sagt Gero Lüers, Geschäftsführer der IG Bau. „Wenn die Dinge aber so sind wie dargestellt, wäre das ein handfester Skandal.“ Ein solches Verhalten gefährde den Ruf Deutschlands als Arbeitsstandort. „Wenn wir zulassen, das jemand zu solchen Bedingungen hier arbeitet, verschlechtern sich zwangsläufig auch die Bedingungen deutscher Arbeitnehmer“, glaubt Lüers. Nach einem Bericht der polnischen Wochenzeitung „Gazeta Wyborcza“ hatte die „Rotterdam“ zur Entfernung von 100 Tonnen Asbest aus Bodenbelägen, Möbeln und Isolierungen zunächst 180 Tage in Danzig gelegen. Eine Genehmigung für die Arbeiten hätten polnische Behörden indessen verweigert. Möglicherweise sind die technischen Bedingungen hierzu in Wilhelmshaven aber einfach eher gegeben. „Wir können leider nicht auf das Schiff und die Aussagen überprüfen“, bedauert IG-Bau-Gewerkschaftssekretär Thomas Jackmuth. Durch den öffentlichen Druck hätten sich die Zustände nach Aussagen von Betroffenen aber bereits merklich gebessert.