12.8.2009 – 16:14 Uhr
von Gitta Düperthal
Immer dasselbe miese Spiel, ärgert sich Mihai Balan. »Aus Arbeitssklaven werden plötzlich Unternehmer«. Das werde mit immer undurchsichtigeren Methoden perfektioniert. Balan, Organisationssekretär des Europäischen Verbands der Wanderarbeiter (EVW) und rumänischer Abstammung, arbeitet in dieser Sache Hand in Hand mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Er kennt das Elend seiner Landsleute. Erst werden sie in ein komplexes Vertragswerk verwickelt, unterschreiben meist aus der Not heraus.
Mit im Spiel sind meist ein Generalunternehmer, der für die Arbeiterinnen und Arbeiter verantwortlich wäre, würden sie nicht formal laut Vertrag als Selbständige fungieren; ein Subunternehmer, der den tatsächlich abhängig Beschäftigten Arbeitsanweisungen gibt; sowie ein Arbeitsvermittler, der sie mit falschen Versprechungen gelockt hat. Motto: »Du arbeitest selbständig, alles ist legal, du kannst gutes Geld verdienen.« Gutes Geld, das heißt freilich, den Mindestlohn zu unterlaufen. Doch mit einem Dumpinglohn von 1100 Euro monatlich seien viele Arbeiter zunächst zufrieden, sagt Balan. In Rumänien müßten sie mit rund 350 Euro monatlich auskommen – wovon kein Mensch wirklich leben könne. Deshalb schwiegen die als Unternehmer getarnten Arbeiter, die auf Baustellen schuften, bis zuletzt über ihre tatsächlichen Arbeitsverhältnisse: unbezahlte Überstunden, 60-Stundenwoche und nicht ausgezahlte Löhne, die zum Schein als Honorare bezeichnet werden. Außerdem wüßten die meisten nicht, was es bedeutet, selbständig zu sein. Sie erführen nur mitunter, daß sie verpflichtet sind, gegenüber dem Finanzamt Umsatz- und Gewerbesteuererklärungen abzugeben und »eventuell Steuern zu zahlen«. So steht es in einem Vertrag, der junge Welt vorliegt.
Neuester Trick: Eine sogenannte Arbeitsgemeinschaft (ARGE) wird gegründet, in der die Scheinselbständigen Hand in Hand tätig werden. Die Verwaltung der »Firmen« wird an einen Bevollmächtigten delegiert. Aus dem Billiglöhner wird ein Unternehmer. Diesem ergeht es nicht gut. So ausgeklügelt das Vertragswerk ist, das General- und Subunternehmer gegenüber deutschen Behörden absichern soll, so simpel ist der Vertrag über Arbeitsbedingungen und Honorare der geprellten Arbeiter, weiß Balan. Häufig werde per Handschlag eine Pauschale ausgemacht. Kontakt erfolge durch den Arbeitsvermittler – bis der am Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und für Nachfragen wegen nicht erfolgter Honorierung am Handy nicht mehr erreichbar ist.
Wendet sich einer der Arbeiter an die Gewerkschaft oder will Anzeige erstatten, werde er mitunter mit Gewalt zur Räson gebracht. Eine schnelle Heimreise unter Verzicht auf das mickrige Salär sei dann die einzige Chance, sich zu retten. Mihai Balan pflegt Kontakt zu betroffenen Arbeitern. Beispielsweise zum ausgebildeten Zimmermann Calin Petresco (Name von der Redaktion verändert), mit Ende 30 ein gestandener Mann. Calin habe seine Frau zur Nachbehandlung nach einer Herzoperation mitgebracht. Den Petrescos habe man wie üblich eine der abbruchreifen Unterkünfte zugewiesen, zu der Ratten freien Zugang haben, mit nach Körperausdünstungen stinkenden Matratzen, in Frankfurt am Main, Stadtteil Griesheim, unmittelbar an Bahngleisen gelegen. Dem Pächterehepaar bringt die Vermietung 300 Euro monatlich, im voraus zu zahlen. Calin habe einen Arbeitstag von sieben bis 19 Uhr schieben müssen: »Läuft der Betonmischer, mußt du eben bleiben, bis das Zeug verbaut ist«, schildert Balan.
Calin habe 100 Euro wöchentlich fürs Essen erhalten, dann plötzlich sei der Arbeitsvermittler nicht mehr ans Handy gegangen. Erst in diesem Stadium habe einer von Calins Kollegen die Gewerkschaft um Hilfe angerufen. »Wir haben den Generalunternehmer aufgesucht, ihn darauf hingewiesen, daß er haftet, wenn Subunternehmer nicht zahlen«, so Balan. »Wir verhandelten, alle sofort als Arbeiter zu behandeln und Sozialabgaben für sie abzuführen. Andernfalls drohten wir, Presse und Behörden zu informieren.« Mitten in diesen Verhandlungen habe Calin einen Anruf erhalten. Seine Ehefrau, die sich von ihrer Herzoperation ausruhen mußte, berichtete: Die Vermieterin wolle das Türschloß ausbauen, weil nur zwei Drittel der Miete als Vorschuß gezahlt worden seien. Balan hatte der Vermieterin gesagt, sie trage Verantwortung, falls seine Frau sterbe. Erst nach hartnäckigem Insistieren habe sie zehn Tage Frist eingeräumt. Balan will in diesem Fall die Firma erst später benennen, »wenn alle Fakten dicht sind«. Er nennt aber einige Konzerne, die Scheinselbständige beschäftigen: Bilfinger-Berger, Hoch-Tief und Züblin.
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