6.5.2007 – 11:13 Uhr
von Eske Hicken, „Frankfurter Rundschau“ 03.05.07
Viktor P. würde jetzt gern rauchen. Aber im Büro der Europäischen Wanderarbeitergewerkschaft ist Rauchen verboten. Er nimmt einen Keks, deutet auf seinen Tabak und zieht die Schultern hoch. Das Gewerkschaftsbüro liegt in einem Gewerbegebiet am Frankfurter Stadtrand.Eine teurere, zentrale Lage ist nicht nötig. Osteuropäische Saisonarbeiter nehmen selten Kontakt zur Gewerkschaft auf; noch seltener kommen sie persönlich vorbei. Wenn doch, dann ist die Lage meist ziemlich ernst.
Immer geht es um verschleppte oder gar nicht gezahlte Löhne, oft auch um Gewalt. Die Tricks der Firmen Dass jemand wie Viktor P. bereit ist, über seine Erfahrungen in Deutschland zu sprechen, ist selten. Die meisten Arbeiter haben zu viel Angst. Viktor P. (Name geändert) kommt aus Rumänien; er hat ein paar Wochen für eine rumänische Baufirma auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens gearbeitet. Die Firma schulde ihm fast 4000 Euro, sagt er. Insgesamt habe er nur einen Abschlag von 425 Euro bekommen, den Rest sollte er in Rumänien erhalten, hieß es. Abrechnungen oder Stundenzettel gab es nicht. Viktor P. kamen deshalb bald Zweifel, ob er sein Geld jemals bekommen würde. Als er es schließlich verlangte, kam es zum Streit. Einer der Chefs – die Hierarchien waren nicht sehr durchsichtig – habe ihn am Ende mit einem Messer bedroht, sagt er. Er informierte die Gewerkschaft und die Polizei. Seine Adresse hält er aus Angst geheim. Für die Heimreise fehlt ihm das Geld. Unseriöse Firmen zahlen oft gerade noch so regelmäßig und so viel, dass sich die Arbeiter wieder und wieder vertrösten lassen oder aufgeben und die Heimreise antreten. Drohungen und Gewalt sind oft die nächsten Schritte. Viktor P. hat eine Familie zu ernähren und Schulden abzuzahlen. In Rumänien gibt es zu viele Menschen in ähnlicher Lage und zu wenig gute Jobs. Arbeiter wie er machen in Deutschland gern Überstunden, je mehr sie arbeiten, desto schneller kommen sie zu ihren Familien zurück. Im Gewerkschaftsbüro hängt das Bild einer Lohnspirale; sie zeigt nach unten: Zuerst profitieren auf dem deutschenMarkt die osteuropäischen Billigarbeiter, weil sie für ihre Verhältnisse noch gut verdienen, am Ende aber sinken auch ihre Löhne, und es lacht nur noch der Unternehmer. Man könnte das als Gewerkschaftsrhetorik abtun. Aber dass es zum Alltag an deutschen Baustellen gehört, dass osteuropäischeWanderarbeiter zu Dumpinglöhnen arbeiten, oft unter katastrophalen Bedingungen, bezweifelt kaum jemand. Nicht der Zoll, der für die Kontrolle zuständig ist, nicht die Politik und auch nicht die Mittelständler, die mit den Dumpinglöhnen nicht mithalten können. Nach EU-Recht können deutsche Bauunternehmen Aufträge an osteuropäische Subunternehmer vergeben – die diese dann oft an einen anderen Sub-Subunternehmer weiterreichen. Nach Angaben des Verbands der Wanderarbeiter ist die Aschaffenburger Baufirma Adam Hörnig Hauptauftraggeber im Fall Viktor P.. Stimmen dessen Angaben, wäre sie haftungspflichtig. Auf Anfrage erklärte das Unternehmen, „im Rahmen unserer gesetzlichen Haftung“ für die Ansprüche aufzukommen, „sollten sich diese als berechtigt herausstellen“. Der Nachweis ist schwierig. Zwar gilt im Baugewerbe ein Mindestlohn, der lässt sich aber einfach umgehen: Die Arbeitszeiten sind doppelt so lang, oder das Geld kommt – wie im Fall Viktor P. – am Ende gar nicht. Der Verband der Wanderarbeiter zeichnet ein düsteres Bild: Er geht von einer hohen Gewalt- und Kriminalitätsrate unter osteuropäischen Baufirmen aus. Unseriöse Firmen, die die Löhne drücken, sind demnach die Regel. „Die Leute werden mit Versprechungen nach Deutschland gelockt“, sagt Gewerkschafts-Geschäftsführer Matthias Kirchner. Das System funktioniert, weil die Arbeiter in Deutschland immer noch mehr verdienen als in ihrer Heimat und dringend auf die Jobs angewiesen sind. Osteuropa im Blick Den Verband der Wanderarbeiter hat vor gut anderthalb Jahren die Gewerkschaft IG Bau gegründet. Denn je mehr Druck die osteuropäischen Arbeiter auf die Arbeitgeber machen können, desto mehr nützt das auch ihren deutschen Kollegen, die mit den Dumpinglöhnen konkurrieren müssen. Die Gewerkschafter sprechen die Arbeiter auf den Baustellen an, sie beherrschen die wichtigsten osteuropäischen Sprachen wie Polnisch oder Rumänisch. Für die Überprüfung von Löhnen und Arbeitsbedingungen ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll zuständig. Die meisten osteuropäischen Arbeiter würden „als billige Arbeitskräfte“ benutzt, sagt Claus-Peter Möller, Arbeitsgebietsleiter beim Hauptzollamt in Darmstadt. Die Zöllner kennen die Tricks der Firmen ziemlich genau, ausrichten können sie trotzdem wenig. So werde den Arbeitern der Mindestlohn von 12,30 Euro „eingebläut“, berichtet Möller. „Wenn man nach der Uhrzeit fragt, bekommt man die Antwort: 12,30 Euro“. Allerdings hätten die Arbeiter selbst Interesse an den Jobs; auch der halbe Lohn sei für sie noch viel Geld – Anzeigen sind deshalb selten: „Wir kämpfen an zwei Fronten“, sagt Möller. Viktor P. ist nach Rumänien zurückgekehrt. Das Geld hat die Gewerkschaft ausgelegt, sie hat außerdem Klage gegen die Baufirma Adam Hörnig eingereicht.